Das Meer schlägt zurück
«Der Schwarm» im Faktencheck
In der Serie «Der Schwarm», basierend auf dem gleichnamigen Buch von Frank Schätzing, scheinen sich Meerestiere an den Menschen rächen zu wollen und spielen verrückt. Was ist dran an den Phänomenen?
Meeresbewohner, die sich an den ausbeuterischen Menschen rächen, darum geht es in der Serie «Der Schwarm», der lose auf dem gleichnamigen Roman von Frank Schätzing basiert. Wale, die Boote angreifen, Krabben, die Strände überrennen, und Eiswürmer, die Gasexplosionen herbeiführen, bedrohen die Menschheit. Eine Reihe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler macht sich auf eine gefährliche Suche nach der Ursache der Phänomene, und machen dabei eine unglaubliche Entdeckung.
Die mit 40 Millionen Franken Budget teuerste deutsche Serie aller Zeiten ist seit März 2023 auf Play Suisse und in der ZDF-Mediathek zu sehen. Mit im sprichwörtlichen Boot war dabei die Meeresbiologin Dr. Antje Boetius, die den Produzenten als wissenschaftliche Beraterin zur Seite stand. Gibt es die in der Serie gezeigten aussergewöhnlichen Verhaltensweisen der Meeresbewohner also auch ausserhalb der fiktiven Roman- und Serienwelt?
Wale, die Boote angreifen
Wale sind die grössten Säugtiere der Erde und entsprechend beeindruckend. In «Der Schwarm» greifen Buckelwale Boote an, bringen sie zu Kentern und töten die panischen Passagiere. Die bis zu 15 Meter langen Tiere ernähren sich eigentlich von Krill und kleinen Fischen, und haben so kein Interesse an Säugetieren als Nahrungsquelle. Touristenbooten nähern sie sich lediglich aus Neugierde. Meldungen, wonach Wale Boote angegriffen haben, sind äusserst selten. Eine davon ist die Versenkung des Walfangschiffs Essex im Jahr 1820 durch einen Pottwal, ein Ereignis, auf dem der Roman «Moby Dick» von Herman Melville basiert. Lediglich Schwertwale, auch Orcas genannt, sollen schon in einigen wenigen Fällen Menschen angegriffen haben. Am bekanntesten ist das Männchen namens «Tilikum», das in einem Erlebnispark von SeaWorld in den USA drei Mal einen Menschen angegriffen und getötet haben soll. Man geht davon aus, dass diese Angriffe auf die Umstände der Gefangenschaft zurückzuführen sind. Aber auch in der Strasse von Gibraltar soll es zu Zwischenfällen zwischen Orcas und Schiffen gekommen sein. Worauf diese beruhen, wird zurzeit untersucht.
[IMG 2]
Muscheln, die Schiffe lahmlegen
Tagelange Verspätung hat ein Containerschiff auf dem Weg nach Kanada in «Der Schwarm». Der Grund: An seinem Rumpf kleben Unmengen von Muscheln, die das Schiff regelrecht lahm legen. Tatsächlich sind Muscheln und andere anhaftende Lebewesen ein Problem für die Schifffahrt. Diese unerwünschte Ansiedlung von Organismen an Oberflächen wird «Fouling» genannt und führt zu erhöhtem Gewicht und Strömungswiderstand des Schiffs. Das verlangsamt die Fahrt und kostet bis zu einem Drittel mehr Treibstoff, um ans Ziel zu kommen. Von allen im Buch und in der Serie beschriebenen Szenarien ist das also wohl das realistischste. Wissenschaftler tüfteln daher immer wieder an neuen, ausgeklügelten Möglichkeiten, um das Anhaften von Meeresorganismen an den Schiffrumpf zu verhindern. Besondere Lacke und Farben stehen dabei im Zentrum, und werden laufend weiterentwickelt.
[IMG 3]
Hummer, die platzen
Ein Hummer platzt während der Zubereitung in einer Restaurantküche und verspritzt eine schleimige Masse auf Koch und Hilfsköche. Kurze Zeit darauf sind diese tot. Im Roman entdecken Ärzte, dass eine winzige Alge dafür verantwortlich ist. Die Dinoflagellate Pfiesteria piscicida produziert in einigen ihrer Lebensstadien ein Toxin, welches zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Verwirrung, Hautausschlag und Atemstörungen führen kann, jedoch meist nicht tödlich ist. Die genaue Wirkung auf den Menschen ist noch nicht endgültig geklärt, und die wenigen nachgewiesenen Fällen traten bei Fischern auf. Die Alge kommt freischwimmend in praktisch allen Gewässern vor und ist in kleinen Mengen in der Regel harmlos.
[IMG 4]
Eiswürmer, die auf Methan leben
Noch nicht einmal 30 Jahre ist es her, dass der Biologe Charles R. Fisher von einem Tiefseetauchboot aus ein knapp 4 Zentimeter langes, wurmförmiges Tierchen mit vielen beinähnlichen Borsten entdeckte: Der Eiswurm Sirsoe methanicola. Er lebt in sauerstoffarmen Gewässern auf Methanhydratfeldern und wurde bisher nur im Golf von Mexiko gefunden. Noch ist unklar, ob sich der Wurm von methanliebenden Bakterien oder anderen Lebewesen ernährt. Im Roman und der Serie bohren sich die Würmer in das gefrorene Methan und destabilisieren es dadurch. Es kommt zu Gasfreisetzungen, die Schiffe versenken, und zum Abrutschen von Schelfhängen, die verheerende Tsunamis auslösen. In Wahrheit kann der Eiswurm sich nicht ins Methanhydrat bohren, sondern lebt lediglich auf dessen Oberfläche. Durch die Erwärmung der Ozeane werden jedoch riesige Mengen an in dem Hydrat gespeichertes Methan freigesetzt. Methan ist als Treibhausgas 25-mal schädlicher als Kohlendioxid und trägt damit zusätzlich zur Klimakrise bei. Die Gefahr geht also mal wieder nicht von Tieren, sondern von uns selber aus.
[IMG 5]
Krabben, die an Land strömen
In einem Moment sitzt man noch an einem idyllischen Sandstrand, der im nächsten Moment von tausenden Krabben überrannt wird. Die Tiere strömen in Scharen landeinwärts und tragen in «Der Schwarm» einen tödlichen Erreger aus dem Meer in die küstenbewohnende Bevölkerung. Bis auf letzteres ist dieses Szenario einmal im Jahr auf den Weihnachtsinseln zu beobachten. Hier marschieren jährlich tausende Weihnachtsinsel-Krabben (Gecarcoidea natalis) quer übers Land, um sich zu paaren. Allerdings kommen die Krebstiere nicht aus dem Meer, sondern leben dauerhaft an Land. Lediglich zur Paarung treffen sich die Tiere an der Küste, wo die Weibchen anschliessend ihre Eier den Wellen überlassen. Die geschlüpften Jungtiere begeben sich wiederum an Land und leben fortan im Wald. Auch die Blaue Soldatenkrabbe (Mictyris longicarpus) macht ihrem Namen alle Ehre. Die Krebse wandern in Armeen von tausenden Männchen übers die Strände Australiens. Auch hier dient die Wanderung wahrscheinlich der Paarung.
[IMG 6]
Erreger, die die Kontrolle über Tiere übernehmen
Vorsicht, Spoiler!
Irgendwann wird den Forschenden klar, dass zwischen den Vorfällen ein Zusammenhang besteht. In den verrückt spielenden Tieren finden sie eine Masse, die offenbar die Kontrolle über deren Verhalten übernommen hat. Parasiten, die sich ihren Wirt einnisten und diese manipulieren, sind tatsächlich ein reales Horrorszenario. Ähnlich wie in Buch und Serie sind es einzellige Lebensformen, die andere Lebewesen unter ihre Kontrolle bringen. Toxoplasma gondii zum Beispiel ist ein Parasit, der Säugetiere befällt und sein Verhalten verändern kann, auch das des Menschen. Schätzungen zufolge trägt jeder Dritte den Erreger in sich, meist ohne es zu merken. Er ist auch ein Grund, warum schwangere Frauen Katzentoiletten meiden sollten, denn der Kot der Stubentiger kann ein Infektionsrisiko darstellen. Ist die Schwangere zuvor noch nicht mit Toxoplasmen infiziert worden, so können diese bei einer Übertragung Augen und Nerven des ungeborenen Kindes schädigen. Ansonsten merken Menschen von dem Parasiten meist wenig. Infizierte Nager verlieren ihre Scheu gegenüber Katzen und werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit zur Beute, was die Ausbreitung des Erregers fördert. Auch beim Menschen wird im Zusammenhang mit Toxoplasma gondii immer wieder eine erhöhte Risikobereitschaft diskutiert. Jedoch gibt es dafür bisher noch keine eindeutigen Beweise.
[IMG 7]
Mikroorganismen, die im Schwarm leuchten
Vorsicht, Spoiler!
Die «Yrr», die als einzellige Lebensformen die Kontrolle über andere Tiere ergreifen und die Menschen aus dem Meer vertreiben wollen, leuchten in der Serie in einem überirdischen, hellen Blau. Sie formen im Schwarm Wirbel und Kreise, und sogar das Abbild verschiedener anderer Meeresbewohner. Erstaunlich viele Tiere sind in der Lage, nicht nur Licht zu reflektieren, sondern auch selber welches zu erzeugen. Nebst den bekannten Glühwürmchen leben die meisten von ihnen in Gewässern wie den Ozeanen. So wird das sogenannte Meeresleuchten durch Plankton hervorgerufen. Winzige Einzeller reagieren dabei auf Strömungsveränderungen mit dem Aussenden von Licht. Treten die Mikroorganismen in hohen Konzentrationen auf, so kann dieser Effekt gelegentlich an Stränden und in Bugwellen von Schiffen beobachtet werden.
[IMG 8]
Einzeller, die miteinander kommunizieren
Um einen koordinierten Schwarm bilden zu können, müssen die einzelnen Mitglieder untereinander in irgendeiner Form kommunizieren. Dabei bedarf es nicht unbedingt der aktiven Übermittlung einer Botschaft von einem Individuum zum anderen, sondern die eigene Bewegung wird auf die des Nachbarn abgestimmt. Entsprechend müssen sich die Tiere ihrer eigenen im Schwarm bewusst sein und die Bewegung koordinieren. In «der Schwarm» kommunizieren die «Yrr» durch akustische Signale, einer Art Knacken und Summen. Ob sie dies untereinander tun oder nur mit den Wissenschaftlern, ist nicht ganz klar. Realistisch gesehen dürfte eine innerartliche Kommunikation von Einzellern durch Geräusche jedoch praktisch ausgeschlossen werden. Um Schall aufnehmen zu können, braucht es ein entsprechendes sensorisches Organ, wie ein Ohr oder ein Tasthaar, welches die Reize aufnimmt und zu einer neurologischen Zentrale, dem Gehirn, weiterleitet. Der Empfänger des Signals muss also «hören» können, um mit der Botschaft etwas anfangen zu können. Bakterien besitzen keine solchen Organe, können als Einzeller jedoch auf andere Art und Weise miteinander kommunizieren. Diese «Quorum Sensing» genannte Form von Kommunikation funktioniert über in die Umgebung abgegebenen Signalmolekülen, den Autoinduktoren. Diese werden von den Bakterien selbst gebildet und lösen in den nahen Artgenossen verschiedene Stoffwechselwege aus, die auch das Verhalten betreffen können.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren