Ein Elefant hat so einige sehr beeindruckende Körpermerkmale: meterlange Stosszähne, riesige Segelohren, baumstammdicke Beine. Aber das Organ, das den Dickhäuter unverwechselbar macht, ist sein Rüssel. Anderthalb Meter lang ist er beim grösseren, dem Afrikanischen Elefanten. Er wiegt mehr als hundert Kilo und fasst bis zu sechs Liter Wasser, was der Elefant gerne ausnützt, um seinen Durst am Wasserloch zu stillen – oder sich bei einer Dusche zu erfrischen. Will er einen Fluss durchqueren, verwendet der Elefant seinen Rüssel kurzerhand als Schnorchel, während sein restlicher Körper komplett untertaucht.

Beim Elefantenrüssel handelt es sich um die Nase des Tieres, die beim Elefantenembryo lange vor seiner Geburt mit der Oberlippe verschmilzt. Und diese Nasen-Oberlippen-Kombination ist das vielleicht vielseitigste Werkzeug im Tierreich. Das Geheimnis des Rüssels: Er besteht nicht aus Knochen oder Knorpeln, sondern ausschliesslich aus Muskeln, geschätzte 40 000 Stück sollen es sein.

Ähnlich wie etwa bei der menschlichen Zunge gibt diese Tatsache dem Rüssel eine erstaunliche Flexibilität. Anstatt durch eine Vielzahl von Gelenken auf eine bestimmte Anzahl möglicher Bewegungsrichtungen beschränkt zu sein, ermöglicht die Muskelstruktur dem Rüssel eine theoretisch unbegrenzte Anzahl «Freiheitsgrade», also mögliche Richtungen, in die er sich bewegen kann.

Der Elefant kann seinen Rüssel nicht nur beugen und strecken, er kann ihn auch stellen-weise versteifen, sodass eine Art stabiles, vorüber-gehendes Pseudogelenk entsteht, das er nach Belieben wieder auflösen kann.

[IMG 2]

Diese Flexibilität sorgt dafür, dass der Elefant seinen Rüssel für fast unendlich viele Zwecke verwenden kann. Ist pure Kraft gefragt, kann das Tier Baumstämme von über 250 Kilogramm in die Luft heben. Kleine, fingerartige Hautlappen oben und unten an der Rüsselspitze verleihen dem Elefanten aber auch eine Art «Tastsinn» über den Rüssel. So kann das Tier Tortilla-Chips hochheben, ohne sie zu zerbrechen.

Videoanalyse wie in Hollywood

Das Allzweckwerkzeug Elefantenrüssel ist schon länger in den Fokus der Wissenschaft geraten. Erst letztes Jahr ist ein interdisziplinäres Team der Universität Genf dem Rüssel zweier Afrikanischer Elefanten noch etwas näher auf die Spur gekommen. Wie es sonst für Hollywood-Filme üblich ist, haben die Forschenden die Rüssel mit vielen Sensorkügelchen versehen und sie allerhand Bewegungen ausführen lassen. Per Video-Auswertung von zehn Infrarotkameras haben sie letztlich hochpräzise Bewegungsmodelle geschaffen.

Die Genfer Videoanalyse könnte nun einem anderen Team dabei helfen, einen Roboter nach Elefantenrüssel-Vorbild zu bauen. Das Projekt «Proboscis» – das ist der lateinische Name des Rüssels – läuft derzeit unter der Führung der Universität von Pisa in Italien.

Das Ziel ist es, noch dieses Jahr einen Prototyp für einen weichen Roboterarm ohne Gelenke zu entwickeln. Sein Vorteil gegenüber üblichen Greifarmen ist klar: Er kann beliebig umprogrammiert werden und mehr als nur einige wenige Bewegungen ausführen. Kurz: Ein echtes Multifunktionswerkzeug halt, wie ein echter Elefantenrüssel.

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 03/2023 vom 9. Februar 2023. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

Jetzt Schnupperabo abschliessen

Zur Abo-Übersicht