Eine Sommerwiese ist voller Leben. Wer mitten hindurch spaziert, der sieht kleine Tiere blitzschnell in alle Richtungen wegspringen. Nähert man sich den hüpfenden Gesellen behutsam und langsam, kann man einen Blick auf die mit ihren Grün- und Brauntönen gut getarnten Wesen erhaschen. Es handelt sich hierbei um Heuschrecken. Die Herkunft ihres Namens stammt nicht daher, dass die Tiere, wenn sie sich erschrecken, davonspringen, sondern vom althochdeutschen Wort «schrecken», was so viel wie aufspringen bedeutet. Was die Hüpfer von anderen Insekten unterscheidet, sind ihre verdickten Sprungbeine, mit denen sie Distanzen mühelos springend überwinden können.

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Florin Rutschmann begeistert sich für diese spannenden Tiere und weiss einiges zu erzählen. Der Heuschreckenexperte, der am liebsten mit der Kamera durch die Natur streift, um die Tiere abzulichten, gründete zusammen mit Christian Rösti die Website orthoptera.ch. Ziel dieser Plattform ist es, Heuschrecken einem breiten Publikum zugänglich zu machen und alle Arten der Schweiz, Deutschlands und Österreichs detailliert zu porträtieren. Ein ambitioniertes Projekt. Denn Heuschrecken sind eine Ordnung der Insekten, die europaweit mehr als 1000 Arten umfasst. Von diesen leben etwa 110 Arten in der Schweiz. «Damit sind die Heuschrecken allerdings eine recht kleine Gruppe der Insekten», erklärt Rutschmann. Im Vergleich: Allein 6500 Käferarten besiedeln die Schweiz.

Kurze Fühler, lange Fühler

Unterteilen lassen sich Heuschrecken in zwei Gruppen, die Langfühler- und die Kurzfühlerschrecken. Wie der Name bereits verrät, zeichnen sich Erstere durch auffällig lange Fühler, Letztere dagegen durch kurze Fühler aus. Besonders wichtig für die Tiere ist ihre Tarnfärbung, denn sie schützt sie vor ihren Fressfeinden wie Vögeln, Reptilien und Spinnen. Allerdings gibt die Färbung keine verlässliche Auskunft über die Art, wie der Heuschreckenexperte erklärt. «Farben sind ein äusserst schlechtes Bestimmungsmerkmal bei Heuschrecken, denn sie sind bei den meisten Arten variabel.» Ein gutes Beispiel dafür ist die Blauflügelige Ödlandschrecke. Das Tier des Jahres passt sich der Färbung der Steine in seinem Lebensraum an. «Braun- oder Rosatöne im Gestein finden sich in der Färbung der Ödlandschrecken wieder.»

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Auch wenn die Insekten viele Feinde haben, müssen sich auch andere Tiere vor gewissen Heuschreckenarten in Acht nehmen. Neben den Vegetariern gibt es Gemischtköstler, die sich neben Kräutern und Gräsern von anderen Insekten oder auch Kot von Tieren ernähren. Nur eine kleine Gruppe lebt rein räuberisch.

Manche Heuschreckenarten verraten ihren Aufenthaltsort durch ihr auffälliges Zirpen. Während nicht alle Arten singen können, spielt der Gesang bei denen, die dazu fähig sind, eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit Artgenossen. Dabei hat jede zirpende Art ihren ganz eigenen Gesang. Die Geräusche werden allerdings nicht wie bei uns über Stimmbänder erzeugt, sondern durch das Aneinanderreiben der Flügel oder Beine. Die Bewegungen sind manchmal kaum von Auge zu sehen. «Manche Langfühlerschrecken singen so schnell, dass sie dabei über 100-mal pro Sekunde die Flügel aneinanderreiben», erzählt Florin Rutschmann. Nicht jeder Gesang kann dabei vom Menschen wahrgenommen werden. «Insbesondere Gesänge im Ultraschall-Bereich ab 20 Kilohertz sind für die meisten Menschen nicht mehr hörbar, insbesondere für Männer über 50», erklärt der Heuschreckenkenner mit einem Schmunzeln.

Babys im Miniaturformat

Jeden Frühling im März und April schlüpfen die jungen Heuschrecken aus den Eiern, wachsen, bis sie im Juli und August ihre volle Grösse erreicht haben, paaren sich und legen wiederum Eier. Diese überdauern den Winter, bevor sich der Zyklus im folgenden Frühjahr wiederholt. «Manche Arten überdauern auch mehrere Winter, manche sogar bis zu sieben Jahre», erklärt Florin Rutschmann. Im Gegensatz zu Schmetterlingen, Bienen oder Fliegen durchlaufen Heuschrecken keine Metamorphose. Sie zählen zu den hemimetabolen Insekten, die nach dem Schlupf aus dem Ei ähnlich aussehen wie ihre Eltern, allerdings im Miniaturformat. Um zu wachsen, müssen sich die Tiere regelmässig von ihrem Exoskelett befreien. «Das sind heikle Momente im Leben einer Heuschrecke», erklärt Rutschmann. «Kopfüber hängen sie sich auf und ziehen ihren Körper aus der alten Haut. Wenn es in dieser Situation zu regnen oder zu stürmen beginnt, kann das für das Individuum tödlich enden.»

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Eine weitere Bedrohung für die Insekten stellt das häufige und frühe Mähen von Wiesen und Feldern dar. «Bei der Mahd können die Eier der Heuschrecken abgeführt werden und das kurze Gras bietet keinen Schutz mehr vor Feinden und der austrocknenden Sonne», berichtet Florin Rutschmann. Etwa 40 Prozent der Heuschrecken der Schweiz sind bedroht, denn wenig produktive Landschaften sind selten geworden. Wer im eigenen Garten etwas für die Tiere tun möchte, lässt laut dem Heuschreckenexperten Teile der Wiese ungemäht, so dass immer Bereiche mit hohem Bewuchs als Versteckmöglichkeit zur Verfügung stehen.

 

Eine Auswahl an Schweizer Arten

Sibirische Keulenschrecke (Gomphocerus sibiricus)

Diese Heuschrecke ist eine spezielle und typische Art der Alpen und bewohnt Höhen ab 1000 Metern. An den Vorderbeinen weisen die Männchen verdickte Bereiche auf, weshalb die Art auch als «Popeye-Grashüpfer» bekannt ist. Mit diesen trommelt das Männchen während der Balz auf das Weibchen ein.

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Weinhähnchen (Oecanthus pellucens)

Das Weinhähnchen erinnert optisch nur entfernt an einen Grashüpfer, gehört als Grille jedoch zoologisch zur Ordnung der Heuschrecken, ebenso wie Heimchen oder Maulwurfsgrillen. Der für das nur bis zu vierzehn Millimeter grosse Tier äusserst laute Gesang ist ein typisches Geräusch einer Nacht im Mittelmeerraum. In der Schweiz fühlt sich die wärmeliebende Heuschrecke im Tessin, Wallis und um Genf wohl, breitet sich jedoch zusehends auch im Mittelland aus.

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Säbel-Dornschrecke (Tetrix subulata)

Ihren Namen haben Dornschrecken durch ihren harten, in einen Dorn verlängerten Halsschild, der bis zu den Flügelenden reicht. Die Säbel-Dornschrecke überwintert als Jungtier oder ausgewachsenes Tier im Wurzelwerk von Riedvegetation. Diese Flächen können saisonal überschwemmt werden. Das macht der Heuschrecke nichts aus, denn sie kann tauchen und mehrere Wochen unter Wasser überdauern. In der Schweiz ist die Art weit verbreitet und im Mittelland eine der häufigsten Dornschrecken.

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Grosse Sägeschrecke (Saga pedo)

Die grösste in der Schweiz und in Europa vorkommende Art kann von den Fühlerspitzen bis zum Ende des Legestachels stattliche fünfzehn Zentimeter gross werden. Durch ihre grüne Färbung und ihre langen Beine, ist sie dennoch im Gras perfekt vor Feinden getarnt. In der Schweiz ist die Art selten und konnte bisher nur im Wallis und Graubünden nachgewiesen werden. Bei der Grossen Sägeschrecke kommen ausschliesslich weibliche Tiere vor, die unbefruchtete Eier ablegen, aus denen kleine Klone schlüpfen. Weltweit wurde erst ein einziges Männchen gefunden, und zwar im Wallis. Die karnivore Schrecke kann neben anderen Insekten selbst Eidechsen und kleine Vögel verspeisen.

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Bedornte Höhlenschrecke (Troglophilus neglectus)

Diese Heuschrecke lebt in Höhlen in absoluter Dunkelheit. Ihr Verbreitungsgebiet liegt hauptsächlich in Südosteuropa, manche Tiere sind wohl durch eine Verschleppung durch den Menschen nach Deutschland, Tschechien und auch in die Schweiz gelangt. Bei uns wurde diese Art erst vor wenigen Jahren im Rheintal entdeckt, wo sie in Militärstollen lebt. Höhlenschrecken sind taub und stumm und kommunizieren stattdessen mit ihren Fühlern miteinander. Die streng nachtaktiven und flügellosen Tiere verlassen nachts ihre Höhle, um auf Nahrungssuche zu gehen.

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Praktischer Begleiter für unterwegs Der Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel ist handlich und wiegt kaum etwas – ideal, um ihn auf Wanderungen oder Exkursionen mitzuführen. Allerdings darf man für die Bestimmung gewisser Arten auch die Lupe nicht vergessen, dann zum Beispiel, wenn man die Form des Hörorgans zur Bestimmung erkennen möchte. Anhand von Bildern und Beschreibungen macht es die Faltkarte Experten und Laien ohne Berührungsängste einfach, die Tiere bis zur Gruppe oder Art schnell zu bestimmen.

Jürgen Fischer et al.: «Heuschrecken im Feld bestimmen», 10 Seiten, Faltkarte, Quelle & Meyer Verlag 

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