Mit Hammer und Speer zum Erfolg
Wie Tiere Werkzeuge basteln und anwenden
Manchmal genügen die eigene Kraft und Geschicklichkeit nicht aus, um ein Ziel zu erreichen. Dann muss ein Hilfsmittel her, ein Werkzeug. Lange wurde angenommen, dass nur der Mensch in der Lage ist, solche Werkzeuge herzustellen und zu nutzen. Verschiedene Tierarten haben uns mittlerweile eines Besseren belehrt.
Termiten sind eine Delikatesse, zumindest für Schimpansen (Pan troglodytes) und Bonobos (Pan paniscus). Allerdings ist es schwer, an die kleinen Insekten heranzukommen, zumal die Termitenhügel hart wie Stein sind und die Termiten gut vor Eindringlingen schützen. Die Löcher in den Hügeln sind zu klein, als dass Affenhände hineinpassen könnten. Aber Schimpansen und Bonobos gelten als sehr intelligent, und das zeigt sich auch bei ihrer Fähigkeit, solche Probleme zu lösen: Sie nutzen ein langes, dünnes Ästchen, mit dem sie nach den Termiten angeln. Der Zweig wird dabei in eins der Löcher geschoben, die kleinen Insekten beissen sich daran fest und lassen sich herausziehen. Genüsslich können die Affen dann die Leckerbissen von ihrem selbst gebastelten Werkzeug ablecken.
Die Steinzeit der Affen
Dass Menschenaffen, unsere nächsten Verwandten, in der Lage sind, Werkzeuge zu nutzen, beobachtete bereits Jane Goodall, die bekannte Affenforscherin. In den 1960er-Jahren war dies eine kleine Sensation, denn bis dahin nahm man an, dass nur Menschen Werkzeuge herstellen und benutzen konnten. «Es war für mich kaum zu glauben, was ich da sah», beschrieb Goodall ihre Beobachtungen. «Die Schimpansen hatten die Fähigkeit, einen Zweig so zu bearbeiten, dass er genau für den Zweck passte. Das ist der erste Nachweis, dass nicht-menschliche Primaten nicht nur Werkzeuge nutzen, sondern auch herstellen können.» Die Affen brachen die Zweige in der richtigen Länge ab, schälten die Rinde von den Ästen und entfernten kleinere Zweige und überschüssige Blätter, bis sie ihr perfektes Angelwerkzeug in den Händen hielten. Solche Stöcke werden nicht nur zum Termitenfischen verwendet, sondern auch, um an Honig zu kommen, der tief in einem Astloch klebt. Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste nutzen zudem Steine, um Nüsse zu knacken, und hebeln feststeckende Bruchstücke mithilfe eines Astes aus der Schale. Eine Hand voll zerkleinerte Blätter oder Moos bilden einen hervorragenden Schwamm, um Wasser aus einem Loch aufzusaugen, aus dem die Tiere nicht direkt trinken können. Manchmal saugen Schimpansen solche Schwämme dann nicht nur aus, sondern nutzen sie auch zur Körperpflege. Goodall berichtete auch, dass Schimpansen keineswegs reine Vegetarier sind, sondern aktiv andere Tiere jagen und fressen. 2007 beobachtete ein Forscherteam in der Savanne Senegals, wie Schimpansen regelrechte Speere herstellten, indem sie abge-brochene Äste mithilfe ihrer scharfen Zähne anspitzen und diese in Baumhöhlen stiessen, in denen Galagos (Galago senegalensis) tagsüber schlafen. In mindestens einem der beobachteten Fälle gelang es einem Schimpansen, eines der kleinen Tiere zu erbeuten.
«Schimpansen sind keine Vegetarier, sondern jagen aktiv andere Tiere.»
Nebst Schimpansen und Bonobos wurden auch Gorillas (Gorilla sp.) und Orang-Utans (Pongo sp.) dabei gesehen, wie sie Pflanzenteile modifizierten und bei verschiedenen Gelegenheiten nutzen, um an Nahrung zu kommen oder Körperpflege zu betreiben. Auch kleine Affen wie die Weissschulter-Kapuziner (Cebus apella) nutzen Werkzeuge, um Nüsse und Muscheln zu knacken, und wurden dabei beobachtet, wie sie Äste als eine Art Keule nutzen, um sich gegen giftige Terciopelo-Lanzenottern (Bothrops asper) zu verteidigen. Bei insgesamt 32 Affenarten wurden solche und ähnliche Verhaltensweisen nachgewiesen, wovon elf Werkzeuge selber herstellen. Manche Wissenschaftler meinen, dass sich diese Affenarten quasi in einer Art Steinzeit befinden, jener Epoche, in der auch die Menschen zum ersten Mal Werkzeuge selber hergestellt und benutzt haben.
Erfinderische Meerestiere
Auch andere Säugetiere sind bekannt dafür, Objekte aus der Natur als Werkzeuge zu nutzen. Seeotter(Enhydra lutris) sammeln am Meeresboden Muscheln und Krebse, die sie in einer Art Tasche aus Haut auf ihrer Brust an die Oberfläche bringen. Krebse werde dabei gerne in Seetang eingewickelt, um sie an der Flucht zu hindern. In der Brusttasche tragen Seeotter zudem stets einen Stein mit sich herum, den sie als Hammer oder Amboss nutzen, um die harte Schale der erbeuteten Krustentiere zu knacken. Um an Abalone, grosse Seeschnecken, die an den Felsen in Küstennähe haften, zu kommen, holen sich die Otter grössere Steine, mit denen sie die Leckerbissen mit geschickten Händen vom felsigen Untergrund hämmern.
Ein anderes meerbewohnendes Säugetier, der Tümmler (Tursiops sp.), nutzt Schwämme als Hilfsmittel während der Nahrungssuche. Die Delfine wurden in Westaustralien dabei beobachtet, wie sie ein Stück Schwamm von seinem Untergrund abbrachen und über ihre Schnauze stülpten. So vor Verletzungen geschützt, gruben sie im Sand auf dem Meeresboden nach dort versteckten Fischen.
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Der Krake Amphioctopus marginatus wird im Englischen auch «Kokosnuss-Krake» («Coconut octopus») genannt. Er bewohnt die tropischen Gewässer des Pazifischen Ozeans und ist dafür bekannt, Schalen von Kokosnüssen zu sammeln und über teils weite Strecken zu transportieren, um sie später als Teil seines Verstecks zu nutzen. Julian K. Finn vom Museum Victoria in Melbourne, Australien, beobachtete dieses Verhalten und kategorisierte es als Werkzeugnutzung, weil die Kraken die Kokosnussschalen explizit sammeln, um sie später zu nutzen. «Ich habe zuvor viele Kraken gefilmt, wie sie sich in Kokosnussschalen verstecken, aber dass sie diese zusammentragen und stapeln, das war mir neu», erzählt Finn. «Scheinbar zeigen auch wirbellose Tiere Verhaltensweisen, von denen wir lange dachten, dass sie den Menschen vorbehalten sind.»
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Gefiederte Genies
Ähnlich wie Schimpansen nutzen auch Neukaledonienkrähen (Corvus moneduloides) Äste, um Insekten aus Löchern zu holen. Die Vögel stochern mit den Stöckchen nach ihrer Beute, bis diese sich in den Zweig verbeisst und sich aus ihrem Versteck herausziehen lässt. Um das perfekte Werkzeug zu erhalten, suchen sich die Krähen geeignete Äste, die sie bei Bedarf mit dem Schnabel bearbeiten. Dabei entstehen auch Werkzeuge mit einer Art Haken am Ende, die das Fischen nach Insektenlarven erleichtern. Neukaledonienkrähen gehören zu den Lieblingstieren von Intelligenzforschern. Die Vögel sind sogar in der Lage, mehrere Werkzeuge zu nutzen, um eine Aufgabe zu lösen. In einer Studie an der Universität von Auckland, Neuseeland, verwendeten die Krähen ein kurzes Stöckchen, um nach einem längeren Stöckchen zu angeln, welches nötig war, um an Futter zu kommen. Dabei benötigten die Vögeljeweils nur einen Versuch, schienen also vorher genau zu überlegen, wie sie die Aufgabe lösen können. Die kognitiven Fähigkeiten, die dahinterstecken, faszinieren die Forscher und führen zu immer weiteren,komplexeren Untersuchungen.
Auch unsere einheimischen Krähen (Corvus corone) gelten als äusserst intelligent und einfallsreich. Sie nutzen sogar den Menschen als eine Art «Werkzeug», um ihr Ziel zu erreichen. Als Allesfresser lassen sie sich des Öfteren Nüsse und Schnecken schmecken, die sie jedoch nicht immer mit ihrem Schnabel knacken können. Sie lassen diese daher gerne aus grosser Höhe auf Strassen fallen, in der Hoffnung, dass die Schale so zerbricht. Alternativ platzieren sie die Objekte in den Fahrspuren und warten in sicherer Entfernung darauf, dass ein Auto drüberfährt, um danach den begehrten Inhalt der zerbrochenen Schalen aufzusammeln.
Würden Schmutzgeier (Neophron percnopterus) ihre Beute fallen lassen, so würden sie einen Grossteil der Nahrung verlieren. Die grossen Greifvögel lieben Eier und knacken sie besonders vorsichtig, damit deren Inhalt nicht ausläuft. Bei grossen Eiern nehmen sie dafür einen Stein zur Hilfe, den sie gezielt auf die dicke Schale werfen, bis sie bricht. In Bulgarien nutzen die Geier zudem Stöcke, um am Boden liegende Schafswolle zusammenzurechen und aufzusammeln. Diese Wolle verwenden die Tiere gerne zum Polstern der Nester. Andere Greifvögel wie der Schwarzmilan(Milvus migrans), der Keilschwanzweih (Haliastur sphenurus) und der Habichtfalke (Falco berigora) sind dafür bekannt, dass sie während eines Feuers in der australischen Savanne brennende Stöcke wegtragen und damit weitere Vegetation in Brand setzen. Die Vögel jagen dann vor dem Feuer fliehende Kleinsäuger und fressen auch an Kadavern von dem Brand zum Opfer gefallener grösserer Tiere. Ihr pyromanisches Verhalten erschwert dabei oft die Bemühungen der Feuerwehr, die Buschbrände unter Kontrolle zu bekommen. [IMG 3]
Dass sich Tiere ihre Umgebung und das Verhalten anderer Arten zunutze machen, ist also offenbar kein so seltenes Phänomen. Sogar Krokodile wie der Mississippi-Alligator (Alligator mississippiensis) und das Sumpf-Krokodil (Crocodylus palustris) haben Strategien entwickelt, um sich die Jagd zu erleichtern. Während Reiher ihre Nester bauen und nach geeig-neten Ästen Ausschau halten, platzieren die Echsen besonders schöne Stöcke im Wasser, um die Vögel anzulocken und im richtigen Moment zuzuschnappen.
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Werkzeuge verschaffen den nutzenden Tieren so einen bedeutenden Vorteil, zum Beispiel, indem sie an Nahrung kommen, die sonst schwer zu beschaffen ist. Das spart Zeit und Energie, die dann in andere Dinge des Lebens investiert werden kann, wie etwa in die Partnersuche, die Verteidigung des Reviers und die Aufzucht von Nachkommen. Nicht zuletzt verhalf auch das dem Menschen während seiner Entwicklung zum heute dominantesten Säugetier der Welt zu seinem Erfolg, aber offenbar durchaus nicht zur Einzigartigkeit.
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