Ein Grundprinzip der Natur
Das Territorium
Tiere, die nach Lust und Laune durch die Natur streifen, sind Projektionen des Menschen. Auch in der Natur ist ein Tier nicht schrankenlos frei, sondern Zwängen und Grenzen unterworfen. Es lebt in seinem Territorium. In der Tierhaltung wird darauf aufgebaut.
Während die Haltung von Hund, Katze und Pferd gesellschaftlich weitgehend akzeptiert ist und kaum in Frage gestellt wird, werden besonders Wildtierhaltungen häufig kritisiert. Das Tier sei in der Natur besser aufgehoben, es müsse sich frei bewegen können, wird argumentiert. Der Vogel in der Voliere oder der Löwe im Gehege wecken Bedauern.
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Rätselhaftes bei Mensch und Tier
Meist wird mit dem Begriff Freiheit argumentiert. Er ist rein menschlich geprägt. Spielt er für das Tier eine ähnliche Rolle? Der Mensch kann nicht in die Seele des Tiers blicken, kann es nicht befragen. Wie man bei einem Menschen, der lacht und singt, nicht in sein Innerstes blicken kann, bleiben uns auch die Tiere stets in einem gewissen Sinne rätselhaft.
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Bedrängte Tiere in der Natur
Viel zum Leben der Tiere kann aufgrund von Beobachtungen in der Natur herausgefunden werden. Allerdings ist sie zwischenzeitlich sehr durch menschliche Einflüsse fragmentiert und geformt. In Afrika gibt es beispielsweise kaum mehr Elefanten, die nicht schon durch Menschen bedroht worden wären. Auch in der Schweiz werden Tiere durch Jagd, Tourismus und Landwirtschaft dezimiert, verdrängt und beeinflusst. Zudem gibt es unzählige indirekte Einwirkungen wie landschaftliche Umgestaltungen, Kulturen, Städte- und Strassenbau oder Gewässerverbauungen.
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Tieren sind Grenzen gesetzt
Das meiste Tierverhalten in der Natur ist darum heute durch den Menschen direkt oder indirekt beeinflusst. Grosstiere sind heute sogar in der Natur in enge Grenzen gezwungen, indem sie in Nationalparks leben, die sie kaum noch verlassen können, weil entweder Abschuss droht oder aber die Lebensräume zerstört sind.
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Das Tier klebt an seiner Scholle
Der Begriff Freiheit in Bezug auf Tiere, die in der Natur leben, ist also schon rein aufgrund der menschlichen Dominanz verzerrt. Doch viele Tiere in der Natur sind seit jeher in ein fixes System von Raum und Zeit eingebunden. Einer der ersten, der das herausgefunden und festgehalten hat, ist der Schweizer Tierpsychologe und Zoodirektor Professor Dr. Dr. Heini Hediger (1908 – 1992). Er schreibt in seinem Werk «Tierpsychologie im Zoo und im Zirkus» (Verlag Friedrich Reinhardt, Basel, 1961): «Es hat sich gezeigt und tausendfach bestätigen lassen, dass das sogenannte freilebende Tier – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keineswegs nach Belieben vagabundiert, sondern im Gegenteil mit ausserordentlicher Zähigkeit an seiner Scholle klebt, an seiner Wohnung, die es in der Regel nur auf Grund von Zwang verlässt.» Bei dieser Wohnung handelt es sich um das Territorium, das besonders gegen Artgenossen hartnäckig verteidigt wird. So leben in einem Territorium verschiedene Tierarten problemlos zusammen, weil sie unterschiedliche Bedürfnisse haben. Hediger folgert, dass dies im Grunde ähnlich sei wie beim Menschen. Wenn sich eine Krähe auf dem Dach niederlasse oder ein Eichhörnchen im Garten herumklettere, so störe uns das nicht. Würden wir in Haus und Garten aber einen Menschen, also einen Artgenossen, antreffen, würde das unsere Grundbesitzergefühle wecken.
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Kein Tier reist in die Ferien
Es kommt nicht vor, dass ein Tier, das ein typischer Regenwaldbewohner ist, wie beispielsweise der Gorilla, Lust danach verspürt, mal etwas anderes zu sehen und einen Ausflug in die angrenzende Savanne unternimmt. Im Regenwald kann der Gorilla seine Bedürfnisse abdecken, er fühlt sich dort sicher. Die Savanne ist unbekannt und bedeutet Gefahr. Ferien und Reisen sind rein menschliche Bedürfnisse.
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Lange vor dem Menschen hatten Tiere ihre Strassen
In einem Territorium findet ein Tier alles, was es braucht, beispielsweise Nahrung, Wasser, eine Ruhezone, eine Scheuerstelle, Sand oder Schlick zum Baden und zur Körperpflege sowie Begegnungszonen. Gewisse Bereiche liegen ausserhalb der so genannten Schonzone, also des Gebiets, wo es sich besonders sicher fühlt. Sie werden durch Strassen erreicht. Lange bevor es den Menschen auf der Erde gab, unterhielten Tiere ihre Strassen. Im Tierreich werden sie Wechsel genannt.
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Tiere schonen ihre Ressourcen
Ein Territorium in der Natur kann gross sein, denn nicht alles, was ein Tier braucht, findet sich auf kleinem Raum. Tiere bewegen sich aber kaum einfach so zur Freude. Der Mensch unternimmt Wanderungen, treibt Sport. Das käme keinem Tier in den Sinn. Ein Tier schont seine Ressourcen, denn der Überlebenskampf in der Natur ist hart. Tierwanderungen entstehen, weil die Tiere dazu gezwungen sind und ihre Bedürfnisse anders nicht abdecken können.
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Verhaltensanreicherung im Gehege
Dem Grundprinzip der Tierhaltung liegt zugrunde, dass man das Tier, sein Biotop und sein Verhalten gut kennt. Wird dem Tier unter Menschenobhut alles geboten, so dass es seine Bedürfnisse abdecken kann, ist es nicht gefangen, sondern Territoriumsbesitzer. Natürlich ist ein Gehege unter menschlicher Obhut wesentlich kleiner als sein natürliches Territorium. Dank Verhaltensanreicherung wird erreicht, dass es sein Gehege nutzt, sich seine Nahrung erarbeiten und sich bewegen muss.
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Ein Tier will sich sicher fühlen
Auch wenn wir nicht in das Innerste eines Tiers blicken können, gibt es Indikatoren, die zeigen, ob es einem Tier unter Menschenobhut gut geht. Wenn sein Fell glänzt, es sein normales Verhalten zeigt, sich fortpflanzt, dann kann davon ausgegangen werden, dass es ihm in seinem Territorium unter Menschenobhut wohl ist. Ein Territorium in der Natur gibt dem Tier Sicherheit. Genau dies vermittelt ihm auch das Gehege. Darum kehren viele Tiere auch wieder dorthin zurück, wenn sie es durch ein offenes Tor verlassen können. Ausserhalb des Geheges sind Tiere verloren, ähnlich wie wir Menschen, wenn wir in einer fremden Stadt ausgesetzt würden, wo die Menschen eine andere Sprache redeten und das tägliche Leben anders organisiert wäre als dort, wo wir herstammen.
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Hohes Lebensalter von Tieren unter Menschenobhut
Ein Tier in der Natur ist Stress ausgesetzt. Es muss sich um Nahrung sorgen, Konkurrenten abwehren, wird von Feinden gejagt, leidet, wenn es verletzt ist. All dies wird ihm unter Menschenobhut abgenommen. Es ist die Aufgabe des Tierpflegers, dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Darum werden Tiere unter Menschenobhut weitaus älter als ihre Artgenossen in der Natur.
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Menschliche Gefühle können trügen
Von Freiheit in Bezug auf Tiere in der Natur zu reden, greift zu wenig weit. Das Leben der Tiere ist viel komplexer. Wie Menschen nicht aufgrund von Einzelpersonen auf das Verhalten anderer oder ganzer Gruppen schliessen sollten, sollten sie auch vorsichtig dabei sein, ihr Empfinden auf Tiere zu übertragen. Es ist nicht korrekt, wenn behauptet wird, dass gewissen Tierarten nicht gehalten werden sollten. Wenn die Grundprinzipien der Tiergartenbiologie angewendet werden, kann praktisch jedes Tier korrekt gehalten werden.
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