illegale Hatz in der Schweiz
Illegale Wilderei wird selten zur Rechenschaft gezogen
Polizistenmorde in Deutschland haben zu Jahresbeginn die Aufmerksamkeit auf Täter gelenkt, über die wenig bekannt ist: die Wilderer. Auch in der Schweiz werden Hirsche, Gämsen, Wölfe und Luchse unerlaubt und meist unbestraft geschossen.
Als im Januar in Rheinland-Pfalz eine Polizeianwärterin und ein Polizist mitten in der Nacht bei einer Verkehrskontrolle mit Kopfschüssen umgebracht wurden, war ganz Deutschland erschüttert. Schnell gerieten zwei Männer ins Visier der Ermittlungsbehörden und, nachdem man in ihrem Kastenwagen über zwanzig geschossene Damhirsche gefunden hatte, kam der Verdacht auf, sie wollten mit den Morden ihre Wilderei vertuschen.
Sonderfall mit grossem Ausmass
Die Professionalität, mit welcher der Hauptverdächtige und auch seine Komplizen Raubzüge durch fremde Reviere organisierten, ist sicher ebenso ein Sonderfall wie ihr Ausmass. Zeitungen schätzten, dass der Mann seit 2018 pro Jahr 500 Wildschweine, Hirsche und Rehe wilderte, das Fleisch verkaufte und davon seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Zumindest legten das Unterlagen nahe, welche die Polizei fand.
Zusätzlich zur möglichen lebenslangen Strafe für die Polizistenmorde drohen dem Hauptverdächtigen wegen Wilderei eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren, da es sich um einen «besonders schweren Fall» handelt. Ein Tatbestand, der auch gemäss Kriminalstatistikextrem selten ist. 2020 standen für ganz Deutschland 1080 Fälle von Jagdwilderei zu Buche.
Eine solche nationale Statistik führt die Schweiz nicht. Es gibt einzig grobe Schätzungen kantonaler Stellen wie jährlich fünf bis zehn Fälle im Wallis oder zwischen zehn und zwanzig Fällen in Graubünden. Auch die kantonalen Kriminalstatistiken weisen Verstösse gegen ihre Jagdbestimmungen nicht aus. Einzig der Kanton Bern listet für 2021 insgesamt 42 Straftaten – alle aufgeklärt – gegen das Gesetz über Jagd und Wildtierschutz.
Geregelt ist Wilderei – das Wort taucht darin aber nicht auf – im Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wild lebender Säugetiere und Vögel, kurz Jagdgesetz. Wer gemäss Artikel 17 «vorsätzlich und ohne Berechtigung Tiere jagdbarer und geschützter Arten jagt oder tötet sowie Tiere geschützter Arten einfängt, gefangen hält oder sich aneignet», dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Bei jagdbaren, aber nicht geschützten Wildtieren muss mit einer Busse von bis zu 20 000 Franken gerechnet werden.
Versteckt auf der Lauer
Jagdfrevel sei hierzulande kein grosses Problem, ist da und dort zu hören. Gleichwohl gehen Polizei und Jagdgesellschaften von einer gewissen Dunkelziffer aus. Wilderer gehen nachts auf die Pirsch und liegen ausgestattet mit Nachtsichtgeräten und Schalldämpfern versteckt auf der Lauer. Meist jagen sie in der Nähe befahrbarer Strassen und können schnell wegfahren – entweder wenn sie aufzufliegen drohen oder mit erlegten Tieren. Wildhüter finden meist nur noch die Überreste toter oder qualvoll verendender Tiere.
«Wilderer gehen nachts auf die Pirsch und liegen versteckt auf der Lauer.»
Ab und zu gehen der Polizei Wilderer ins Netz. So erwischte die Kantonspolizei Graubünden Ende Dezember 2021 im Puschlav drei Männer, die innert einem Jahr drei Hirsche und einen geschützten Mäusebussard illegal getötet hatten. Im Januar 2021 teilte dieselbe Kantonspolizei mit, sie habe mit der Wildhut weitere zehn Fälle von Wilderei im Prättigau aufgeklärt. Der einheimische Jäger schoss seit 2014 ausserhalb der Jagdzeit immer wieder Gams- und Rehböcke sowie nicht jagdbare Kronenhirsche.
Trophäen- und Fleischjagd
Wild trieb es auch ein Walliser, den das Bezirksgericht Entremont im Oktober 2021 zu zwölf Monaten Freiheitsstrafe und 800 Franken Busse verurteilte. Er besass weder einen Jagd- noch einen Waffenschein, schoss aber mehrfach auf Wildtiere, darunter aus seinem Auto heraus auf Hirsche, die die Strasse querten. Teilweise filmte er sein Treiben. Bei einem der grössten Fälle der Schweiz wilderten vier Jäger, darunter ein Hilfswildhüter, im Kanton Jura von 2002 bis 2006 insgesamt 138 Rehe, 36 Hasen, 12 Wildschweine und 11 Gämsen.
Aufgeflogen waren sie, nachdem ein Wildhüter seinen Hilfshüter in einem Auto hatte vorbeirasen sehen. Er ging der Sache nach und fand ein verstecktes Reh. Während des Prozesses bestritt der Hilfswildhüter die Vorwürfe – vergeblich: Das Strafgericht Pruntrut verurteilte ihn zu 18 Monaten bedingt, einer Busse und einem zehnjährigen Jagdverbot. Die Gründe, warum solche Männer das Jagdfieber befällt, sind vielfältig. Der Reiz des Verbotenen ist einer. «Wildern heisst, wild sein», zitierte SRF online nach den Polizistenmorden in Deutschland einen Mann, der früher illegal jagte. Es sei um den Nervenkitzel gegangen, um den Adrenalinkick. Andere haben die mächtigen Geweihe als Trophäen im Visier. In den meisten Fällen dürften es die Täter auf das Wildbret abgesehen haben, wird doch in erster Linie Rot- und Rehwild unerlaubt geschossen. Dies für den Eigenbedarf oder um es weiter an illegale Händler zu verkaufen.
Wolf und Luchs im Visier
Schliesslich kommt es seit der Rückkehr der Grossraubtiere auch zur illegalen Jagd auf Wölfe und Luchse. Den Tätern geht es darum, die unerwünschten Tiere zu vertreiben und quasi das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Seit 2014 wurden gemäss der Koordinationsstelle für Grossraubtiere Kora neun Wölfe abgeschossen, allein fünf im Wallis. Die Schützen fand man nie.
20 Jahre dauerte es im Wallis, bis ein Jäger nach dem ersten Hinweis wegen Luchswilderei verurteilt wurde – aufgeklärt wurde der Fall dank der Arbeit der Universität Bern. Ein internationales Forscherteam unter ihrer Leitung stellte sich die Frage, weshalb im Wallis so wenig Luchse lebten. Fotofallen und Spuren im Schnee zeigten, dass die Luchspopulation im Rhonetal im Vergleich zu den Berner und Waadtländer Voralpen gut 80 Prozent tiefer ist.
Das Team untersuchte, ob sein Kamerafallen-Netzwerk etwa zu wenig dicht ist oder falsch positioniert. Diese Hypothese konnten die Forscher aber ebenso entkräften wie die Frage, ob die Grosskatzen im Wallis zu wenig Beute finden. Wilderei blieb die einzige plausible Erklärung – zumal die Forscher im Einwanderungskorridor der Luchse 17 illegale Schlingenfallen entdeckten und diese 2015 der Walliser Staatsanwaltschaft übergaben.
Gefunden wurde darauf die DNA des Jägers, der bereits 1995 auf einem Foto in den Medien auftauchte, auf dem er neben zwei toten Luchsen kniete. Doch das Gericht sprach ihn damals frei, da er behauptete, die Tiere tot gefunden zu haben. Auch später liefen Ermittlungen nach Meldungen von Wanderern, sie hätten Fallen gefunden, ins Leere. Die Polizei konnte keine Beweise für das Dasein der Fallen finden. Dies änderte sich erst mit der Berner Studie, die zur Verurteilung des Wilderers führte.
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