Nesseltiere
Quallen sind mehr als nur Glibber
Sie bestehen zu rund 98 Prozent aus Wasser und hinterlassen trotzdem einen nachhaltigen Eindruck: Quallen faszinieren durch ihr Gift und einer fast geisterhafte Schönheit.
Sonne, Strand, ein Bad im Meer: der perfekte Traum vom Sommerurlaub. Wenn da nicht die Quallen wären. Scheinbar schwerelos schweben sie in den Weltmeeren und lösen bei den Badenden eine Mischung aus Faszination, Ekel und Angst aus. Während einige Quallenarten zu den giftigsten Tieren der Welt gehören, sind jene in der Nord- und Ostsee sowie im Mittelmeer höchstens unangenehm. Nicht so für Rahel Lavater. Die Tierpflegerin des Zoos Basel hat sich ganz den schönen Nesseltieren verschrieben. «Die Ohrenquallen in unseren Strömungsbecken nesseln höchstens so wie eine Brennnessel», so Lavater. Der Zoo Basel ist die einzige Institution in der Schweiz, in der es die Nesseltiere zu sehen gibt. Sie schweben in schummrigem blauem Licht fast schon meditativ im Kreis. «Solche Quallenkreisel, in denen sie sich von der Strömung tragen lassen können, sind wichtig für die Tiere», erklärt Lavater.
Nebst der Ohrenqualle (Aurelia aurita), die man von den Badeferien an den europäischen Meeren kennt, versucht sich der Basler Zoo auch gerade an der Zucht von Gepunkteten Wurzelmundquallen (Phyllorhiza punctata) und Spiegeleiquallen (Cotylorhiza tuberculata). Durch Temperaturwechsel und vermehrtes Zufüttern versucht Rahel Lavater, die sesshaften Polypenstadien dazu zu bringen, Larven freizusetzen, die später zu den bekannten frei schwimmenden Quallen, den Medusen, werden.
Die Fortpflanzung von Quallen ist kompliziert und braucht Geduld. «Wenn man bedenkt, dass es Nesseltiere schon seit über 550 Millionen Jahren gibt, so wissen wir noch erstaunlich wenig über sie», sagt Lavater fast schon bewundernd über ihre Schützlinge. Umso mehr freut es sie, wenn die Besucher des Vivariums staunend vor dem Quallenbecken stehen und sie immer wieder ein «Wow» zu hören bekommt. «Quallen sind extrem ästhetische und erfolgreiche Tiere. Umso schöner, wenn sie nicht als ekelig wahrgenommen werden», so die Tierpflegerin.
Schmerzhaft bis tödlich
Sofern man auf die Nesselstiche nicht allergisch reagiert, ist eine Begegnung mit Quallen in europäischen Gewässern zwar unangenehm, aber meist nicht gefährlich. Trifft man jedoch auf eine Portugiesische Galeere (Physalia physalis), so sollte man schnellstens Abstand gewinnen, denn ihr Nesselgift kann für Menschen gefährlich sein. Man findet sie meistens im offenen Pazifik, selten jedoch auch vor den Kanaren und an der portugiesischen Küste. Zu erkennen ist die Portugiesische Galeere an der an der Wasseroberfläche treibenden Schwimmblase. Im Gegensatz zu den Ohrenquallen verursacht ihr Nesselgift starke Schmerzen.
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Die meisten Fälle, in denen eine Begegnung mit einer Qualle für den Menschen tödlich verlief, gehen auf das Konto der Seewespe (Chironex fleckeri). DiesenWürfelqualle ist an den pazifischen Stränden Nordaustraliens beheimatet und gehört zu den giftigsten Tieren der Welt. Ihr Nesselgift verursacht nicht nur starke Schmerzen, sondern verbreitet sich über das Lymph- und Blutsystem im Körper, wo es seine tödliche Wirkung entfalten kann. Seit einigen Jahren steht ein Gegengift zur Verfügung, welches möglichst schnell verabreicht werden muss. An vielen der betroffenen Strände in Australien stehen Schilder, die vor der Seewespe warnen und informieren, was im Falle eines Kontakts zu tun ist.
Fressen und gefressen werden
Vor Rahel Lavaters Ohrenquallen muss jedoch nicht gewarnt werden. Nebst der Tierpflegerin haben nur wenige Mitarbeiter des Zoos Basel direkten Kontakt zu den Tieren und bekommen die Wirkung der Nesseln zu spüren. Wenn, dann sei es höchstens so, als hätte man in Brennesseln gefasst, beschreibt Lavater das Gefühl, wenn sie mit den Ohrenquallen in Berührung kommt. Gerade drehen sich die filigranen Tiere zufrieden im Quallenkreisel und verdauen die Salinenkrebse, die Lavater ihnen ins Wasser gestreut hat. Quallen sind wie die meisten Nesseltiere Fleischfresser und ernähren sich von den Beutetieren, die sich in ihren Tentakeln verfangen.
Bei den Ohrenquallen sind die Beutetiere winzig, bei der Portugiesischen Galeere können es auch schon mal kleine Fische sein. Letztere gehören jedoch eher zu den Fressfeinden als zur Beute von Quallen. Insbesondere Mondfische fressen die Nesseltiere. Die Hauptfeinde sind jedoch Schildkröten wie die Unechte Karettschildkröte oder die Suppenschildkröte. Sie sind gegen das Gift der Quallen immun. Allerdings sorgt die kulinarische Vorliebe der Schildkröten auch für fatalen Verwechslungen: Im Meer treibende Plastikpartikel werden von den Tieren für Quallen gehalten und verschluckt, was im schlimmsten Fall tödlich sein kann.
Erste Hilfe bei Quallenstich
Begegnungen mit Quallen können schmerzhaft sein. Die Nesselzellen auf ihren Tentakeln spritzen bei Berührung im Bruchteil einer Sekunde Gift unter die Haut. Oft bleiben die Nesselkörper an der Haut kleben und können bei unsachgemässer Behandlung noch mehr Gift freisetzen. Die betroffenen Körperstellen sollten mit sauberem Meerwasser oder Essig abgespült und danach gekühlt werden. Auf keinen Fall dürfen sie mit Süsswasser oder Alkohol in Kontakt geraten. Auch das häufig propagandierte «Draufpinkeln» oder mit Sand abzureiben, ist keine gute Idee. Treten nach dem Quallenkontakt Übelkeit, Kopfschmerzen oder Kreislaufbeschwerden auf, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
Quallen in Schweizer Seen
Quallen in der Schweiz? Die steigenden Wassertemperaturen durch den Klimawandel machen dies möglich. 1999 wurde im Bodensee erstmals die Süsswasserqualle Craspedacusta sowerbii gesichtet. Seitdem taucht sie regelmässig in praktisch allen Schweizer Seen auf und sorgt dort für Verunsicherung in der badefreudigen Bevölkerung. Glücklicherweise sind die kleinen Tierchen harmlos, weiss der Biologe Patrick Steinmann. Er begegnet den Tieren hin und wieder bei seiner Arbeit beim Gewässerschutz des Kantons Zürich.
Herr Steinmann, ist eine Begegnung mit der Süsswasserqualle schmerzhaft?
Nein, ein Kontakt mit Süsswasserquallen ist absolut unproblematisch, die Tentakel der Quallen können unserer Haut nichts anhaben.
Wie kam die aus China stammende Süsswasserqualle in unsere Seen?
Vermutlich fand die erste Einschleppung in Europa durch die Einfuhr von exotischen Wasserpflanzen in einen botanischen Garten in London um 1900 statt. Kurz darauf tauchten die Quallen auch in anderen botanischen Gärten auf, so auch inZürich. Von da aus haben sich die Quallen dann in die natürlichen Gewässer ausgebreitet. Mittlerweile kommt die Süsswasserqualle weltweit vor.
Wann und wo treten sie am häufigsten auf?
Die Medusenform, also das, was wir als typische frei schwimmende Qualle wahrnehmen, tritt nur bei länger anhaltenden Wassertemperaturen von über 25 Grad Celsius auf. Sie leben in seichten, tümpelartigen Buchten mit vielen Wasserpflanzen und trübem Wasser. Auch in kleineren Stillgewässern wie Enten- oder Fischweihern kommen sie vor oder auch in Staubereichen von grösseren Flüssen.
Wie überleben die Quallen im Winter?
Bei kühleren Temperaturen leben die Süsswasserquallen als ein bis zwei Millimeter grosse, unscheinbare, zäpfchenförmige Polypen. Sie sitzen auf Wasserpflanzen, Steinen oder Holzstücken und bilden kleine Kolonien aus einigen Dutzend Individuen.
Was sagen Süsswasserquallen über das Gewässer aus?
Süsswasserquallen ernähren sich von kleinen Planktonorganismen, vor allem von Rädertierchen, und diese leben bevorzugt in nährstoffreichen, stillen und warmen Gewässerzonen. Je wärmer ein Gewässer, desto wahrscheinlicher findet man drin auch Süsswasserquallen.
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