Schreie in der Nacht
Schliefer leben in Afrika je nach Art unterschiedlich
Die eigentümlichen Schliefer sehen aus wie Kaninchen, sind aber mit den Elefanten verwandt. Vom Regenwald bis in die Savanne haben sie sich unterschiedliche Lebensräume erschlossen. Baumschliefer schreien laut.
Auf den grossen Granitfelsen in der Serengeti huschen kleine Pelztiere herum. Nach einem lauten Pfiff verschwinden sie sofort zwischen den Spalten der Felsriesen. Handelt es sich da etwa um Kaninchen, Murmeltiere oder Dachse? Nichts von all dem, es sind Klippschliefer, die da über die Steine in der topfebenen Savanne klettern.
Um sie zu sehen, ist keine Reise nach Afrika nötig. Im Etoscha-Haus des Basler Zoos sind sie zu beobachten, ebenso im Zürcher Zoo. Wer Glück hat, sieht sie dort in der Semien-Anlage zusammen mit den Blutbrustpavianen über Felsen huschen. Leben sie unter Menschenobhut, können sie bis zu 14 Jahre alt werden.
Wer die eigentümlichen Tiere für Kaninchen hält, ist in prominenter Gesellschaft. Bereits dem Kirchenreformator Martin Luther ging es bei der Übersetzung der Bibel so. Der 1483 in Eisleben in Deutschland Geborene wusste nichts mit dem hebräischen Wort Shaphan oder Schafan anzufangen. Es heisst übersetzt «der sich Verbergende» und bezeichnete die in Syrien und Palästina vorkommende Klippschlieferart.
In den heutigen Bibelübersetzungen findet sich das Wort Klippdachs, das die Buren in Südafrika für die Klippschliefer verwenden. Doch die etwa kaninchengrossen Tiere sind weder Dachse, Kaninchen noch Murmeltiere, sondern sind mit den Elefanten und Seekühen verwandt. Zoologisch gesehen sind es Überlebende einer einst artenreicheren Säugetiergruppe, die in Afrika entstanden ist. Eingeborenenstämme in Afrika wussten es schon immer, denn sie bezeichnen die Schliefer als «kleine Brüder der Elefanten».
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Klippschliefer sind Sohlengänger. Die nackte Fussunterseite besteht aus elastischen Hautkissen. Es ist erstaunlich, dass die kaninchengrossen Tiere mit diesen Fusssohlen ausgezeichnet klettern können. Die Baumschliefer leben gar ausschliesslich auf Bäumen. Wegen ihres besonderen Aufenthaltsorts in luftiger Höhe und der nächtlichen Lebensweise ist nur wenig über sie bekannt. Ihr unheimlicher Schrei schreckt Afrikareisende auf. Von den drei Baumschlieferarten ist der Regenwald-Baumschliefer aus den Wäldern Zentralafrikas der heimlichste.
Dem verstorbenen Schweizer Zoologieprofessor Urs Rahm, der zuletzt in Himmelried im Kanton Solothurn wohnte, gelang es, mehr Details zu diesem besonderen Tier zu eruieren. Er berichtete, dass die ausgezeichneten Kletterer schräg stehende Bäume mit schreitendem Gang hochsteigen. Nicht zu dicke, senkrechte Stämme und Lianen bezwängen sie, indem sie die Vorder- und Hinterfüsse an den Stamm pressten.
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Einheimische berichteten Urs Rahm sogar, dass Baumschliefer, wenn zwei Baumstämme nahe beieinander stünden, sich mit den Füssen gegen den einen und mit dem Rücken gegen den anderen Baum stemmten, um in die Kronenschicht zu gelangen. Im Astwerk der Krone dann kletterten sie mühelos umher. Rahm war diesen Tieren sehr nahe, weil er ab 1958 am Institut pour la Recherche Scientifique en Afrique Centrale (IRSAC) am Kivu-See im damaligen Belgisch-Kongo tätig war.
Den Tag verschlafen die Baumschliefer in Höhlen von Bäumen, nachts aber verraten sie sich durch ihre Schreie, eine Abfolge von sich steigernden Lauten, meist ausgestossen vor und nach Mitternacht. Vermutlich rufen die Einzelgänger, um ihr Territorium abzustecken und machen so mögliche Partner auf sich aufmerksam.
Sonnenbaden am Morgen
Die Angehörigen der beiden Gattungen der Busch- und Klippschliefer hingegen sind sehr soziale Tiere. Sie haben sich ausserhalb des Regenwalds ausgebreitet, von der Savanne bis in Wüstenzonen. Baumschliefer haben meist ein dunkleres Fell als Busch- und Klippschliefer.
Die beiden letzten aber sind nicht einfach voneinander zu unterscheiden, zumal sie oft auch den gleichen Lebensraum bewohnen, wie etwa die grossen Steinansammlungen in der Savanne Afrikas. Buschschliefer unterscheiden sich am weisslich gefärbten Streifen über den Augen von den Klippschliefern. Buschschliefer klettern auf Felsen und auf Büsche, Klippschliefer bleiben in den Felsen.
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Kommt ein Beobachter Klipp- und Buschschliefern in der Savanne zu nahe, gibt ein Wachposten einen Pfiff ab, ähnlich den Murmeltieren in den Alpen. In Windeseile sind alle in Felsspalten und Höhlen verschwunden. Dieses Verhalten ist überlebenswichtig, wenn sich beispielsweise ein Leopard nähert oder ein Raubvogel am Himmel kreist. Das ist in Seronera ganz anders. Im Verwaltungszentrum des weltbekannten Serengeti-Nationalparks in Tansania befindet sich ein kleines Museum zur Entstehung des Parks.
Der Eingangsweg ist von aufeinandergeschichteten Steinplatten gesäumt, auf denen sich Klippschliefer ausruhen. Sie haben sich an die vielen Besucherinnen und Besucher gewöhnt. An besonderen Stellen befinden sich ganze Ansammlungen von Kothäufchen, da die reinlichen Schliefer die Angewohnheit haben, ihren Kot an gleicher Stelle abzusetzen.
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Obwohl sie sich in Höhlen verstecken, graben sie diese nicht selbst. Sie nutzen bestehende Höhlen, deren Eingang nicht zu gross sein darf. Nur so fühlen sie sich sicher. Klipp- und Buschschliefer sind tagsüber aktiv, dösen aber während der heissen Mittagsstunden in den kühlen Höhlen. Morgens und nachmittags folgen sie Pfaden, weiden Gras und fressen Blätter. Morgens früh baden sie auf Felsen liegend in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen.
Während bei Baumschliefern immer nur ein Junges festgestellt wurde, gebären Klipp- und Buschschliefer zwei bis drei. Sie sind Nestflüchter, das heisst, dass die Kleinen bereits in den ersten Tagen nach der Geburt selbstständig sind. Gerne setzen sie sich aber auch auf den Rücken der Mutter. Die Tragzeit ist mit sieben bis siebeneinhalb Monaten bei solch kleinen Tieren recht lang. Vielleicht ist auch das ein Hinweis auf die Verwandtschaft zu den Elefanten.
Schon gewusst?
Im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte passten sich die Schliefer unterschiedlichen Lebensräumen an, von Regenwaldbäumen über Gebirge bis zum Buschland. Die Ordnung umfasst ganze drei Gattungen von Schliefern, die Baumschliefer mit drei Arten, die Buschschliefer mit einer Art und verschiedenen Unterarten und die Klippschliefer mit vier Arten, je nach Taxonomie. Sie sind alle in Afrika, auf Teilen der arabischen Halbinsel und auch entlang der Levante verbreitet. Während die Baumschliefer nur vereinzelt in europäischen Zoos gehalten werden, sind die Klipp- und Buschschliefer häufige Zootiere.
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