Sie können so laut sein wie eine Motorsäge und doch gehören sie zu den Mittelmeerferien wie frische Feigen oder Apéros mit Meerblick: Singzikaden. Während Einheimische oft stolz auf denGesang der Insekten während der Sommermonate sind, kam es in der Provence auch schon vor, dass sich Touristen beim Bürgermeister über den Lärm beklagthaben. Ein Zeugnis davon, wie wenig wir über diese Tiere wissen.

Oder wussten Sie etwa, dass vier der fünf grössten europäischen Singzikaden-Arten auch in der Schweiz vorkommen, einige davon allerdings sehr selten? Die bekannte Mannazikade (Cicada orni), die für regelrechte Konzerte in den Mittelmeerferien sorgt, gehört nicht einmal zu den grössten Arten. Sie kommt vorwiegend im Tessin, im Wallis und in Genf vor. Wer ihrem Konzert lauschen will, der begibt sich gegen Ende Juli am besten auf eine Wanderung auf dem Olivenweg zwischen Gandria und Castagnola im Tessin, verrät Thomas Hertach, der Schweizer Zikadenexperte, auf Anfrage.

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Warum singen sie nur im Sommer?

Europäische Singzikaden verbringen mehrere Jahre nach der Eiablage als Larven unter der Erde und ernähren sich von Pflanzenwurzeln. Wenn die Temperaturen warm genug sind, kriechen die Tiere an die Erdoberfläche, häuten sich und suchen in den folgenden Tagen nach paarungswilligen Artgenossen. Während dieser Zeit locken die männlichen Zikaden mit ihrem Gesang die Weibchen an, die nach der Paarung ihre Eier auf Pflanzen ablegen. Nach einigen Wochen fallen die Eier zu Boden und die Larven verkriechen sich wieder unter die Erde.

Dieser Lebenszyklus führt im Osten der USA zueinem einzigartigen Phänomen: Alle 17 Jahre kommt es dort zu einer regelrechten Zikadenplage. Jahrelang verharren Milliarden von Larven unter der Erde, bis sie bei sommerlichen Temperaturen zeitgleich an die Oberfläche kommen. Wie die Insekten wissen, dass genau 17 Jahre vergangen sind, kann die Wissenschaft bis heute nicht abschliessend erklären.

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Eine wärmeliebende Spezies

Aufgrund dieser beiden Beispiele fallen einem beim Stichwort Zikade oft nur die Plage in den USA oder der Gesang der Insekten im Sommer ein. Doch in wärmeren Gebieten leben optisch weitaus attraktivere Arten der Gesangskünstler: Mit über 4000 bekannten Artenkommen die wärmeliebenden Insekten vor allem in den Tropen und Subtropen vor. Nur wenige davon sind in Europa vertreten, davon die meisten im Mittelmeergebiet. In der Schweiz konnte Experte Thomas Hertach zehn verschiedene Arten nachweisen.

Was Singzikaden einzigartig macht, ist ihr Singorgan – dieses unterscheidet sich von anderen Tieren wie Heuschrecken, die ebenfalls zirpen: Während diese ihre Beine oder Flügel aneinanderreiben, um das Geräusch zu erzeugen, besitzen Zikaden im Hinterleib ein Organ mit Platten, die durch Muskelbewegungen in Schwingung versetzt werden. Ein Luftsack dient dabei als Resonanzkörper und verstärkt den erzeugten Ton, ähnlich wie der Bauch einer Gitarre.

Ihr Lebensraum schwindet

Es stellt sich jedoch die Frage, wie lange uns der Gesang der Singzikaden in der Schweiz erhalten bleibt: Von den zehn Arten, die in der Schweiz leben, ist derBestand von acht verletzlich bis sogar stark gefährdet. Einige seien aber schon immer selten gewesen, soThomas Hertach. Aber das Verschwinden ihres Lebensraumes verschärft das bestehende Problem: Die Singzikaden bevorzugen nämlich trockene und sonnige Übergangsräume – das heisst artenreiche Landschaftsabschnitte zwischen Offenland und Wäldern, sogenannte Ökotone. Aufgrund intensiver Land- und Forstwirtschaft, aber mindestens ebenso oft wegen fehlender Nutzung, verschwinden diese Gebiete immer mehr.

Betroffene Kantone wie beispielsweise Graubünden oder Tessin haben bereits reagiert und engagieren sich in Zusammenarbeit mit Hertach für den Erhalt dieser speziellen Lebensräume. Diverse Projekte sind bereits angelaufen, andere noch in Planung. 

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Zikaden sind vielfältig
Nicht alle Zikaden sind gross und laut. Verwandte Arten wie die Zwergzikade sind nur wenige Millimeter klein, können aber sehr weit springen. Dieselbe Eigenschaft teilen auch die meisten Spitzkopfzikaden, oben vertreten durch die Pyrops candelaria aus Südostasien.