Auch im Winter
Wasseramseln singen bei jedem Wetter
Wasseramseln suchen ihre Nahrung unter Wasser. Das würde ihnen kaum jemand zutrauen, wenn sie mit ihrem glatten Gefieder auf einem Stein am Bach sitzen. Auf der Pirsch nach einem Sonderling.
Ein Singvogel, der schwimmt, taucht, fliegt und auch im Winter singt? Die Wasseramsel erfüllt all diese Kriterien. Sogar wenn Schnee und Eis das Flussufer überzieht, ist der zwitschernde, helle Ruf der Wasseramsel zu hören. Die Sängerin ist nicht auf einem Zweig zu finden, sondern irgendwo auf einem von Moos überzogenen Stein, der aus dem Fluss herausragt. Dort wippen die Wasseramseln, zwitschern und singen. Bei den meisten Vogelarten singt nur das Männchen, nicht so aber bei Wasseramseln: Beide Geschlechter singen. Doch oft wird der Gesang vom rauschenden Bach gedämpft. Wohl ist das der Grund, weshalb die Wasseramsel oft auch optische Signale einsetzt, damit sie der Partner auch richtig wahrnimmt. Sie wippt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Die Wasseramsel ist der einzige Singvogel, der auch tauchen und sich auf dem Grund der Gewässer fort-bewegen kann. Sein dichtes Gefieder isoliert optimal. Bei der Jagd blitzt am schieferfarbenen, fliessenden Wasser plötzlich etwas Weisses auf: Die Brust der wippenden Wasseramsel. Nun fliegt sie knapp über die schäumende Wasseroberfläche auf einen anderen Stein, hält dort kurz inne und stürzt sich dann in die Fluten. Sie ist einfach verschwunden, auch bei winterlicher Kälte, bis sie unvermittelt ganz woanders wie ein Korken aus dem Wasser schiesst und auf einen Stein flattert. Ihr Gefieder zeigt sich makellos.
Wasseramseln ernähren sich zu einem grossen Teil von Köcherfliegenlarven, die im fliessenden Wasser an Steinen festsitzen. Mit ihrem spitzen Schnabel taucht der Vogel nach diesen Larven und vermag sie auch halb unter Steinen abzupicken, immer untergetaucht im vielleicht fünf Grad kalten Wasser, das über ihn hinwegsprudelt. Auch Eintags- und Steinfliegenlarven gehören zur Nahrung der Wasseramsel – sie wird wohl auch Larven von Wasserkäfern nicht verschmähen.
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Entlang von Bachläufen
Das kühne Verhalten der Wasseramsel ist einzigartig für einen Singvogel. Gerade jetzt ist sie wieder besonders aktiv. Die Paare finden sich schon im Herbst, flitzen mit ihren runden Flügeln – eine Anpassung an das Tauchen unter Wasser – über die glitzernde und stark wellende Wasseroberfläche, setzen sich auf morsche Holzpflöcke, die zur Fixierung des Ufers eingeschlagen wurden, oder noch lieber auf Felsen und Steine im Bachbett. Wenn es so kalt wird, dass die Bäche in höheren Lagen zufrieren, wandern Wasseramseln, die an Bergbächen siedeln, in tiefer liegende Gebiete. Die Populationen aus Skandinavien verbringen den Winter oft in Schleswig-Holstein in Norddeutschland. Viele Wasseramseln in der Schweiz bleiben aber während des ganzen Jahres über am gleichen Flussabschnitt. Das muss nicht ein abgelegener Bach sein, sondern die Umgebung kann durchaus städtischen Charakter haben. So wie beispielsweise an der Worble bei Ittigen nahe Bern.
Auf der einen Seite führt auf einem Teilstück ein erhöht angebrachter betonierter Fussweg entlang des Baches. Er ist unterhöhlt, sodass Wasser auch unterhalb dieses brückenartigen Weges sprudelt. Auf der anderen Seite pfeilen in beide Richtungen Vorortszüge der Linie Bern–Worb, zu den Stosszeiten viermal alle Viertelstunde. Gleich dahinter tost der Verkehr. Doch die Wasseramsel stört das nicht. Sie sitzt unten auf dem Stein, wippt, singt und taucht, um dann wieder flussaufwärts zu flitzen. Rasch gefolgt vom Partner. Der Worble entlang leben verschiedene Paare. Am Küsnachter Bach im Kanton Zürich wurden auf 6,8 Kilometern 16 Paare erfasst.
Das ergibt eine Revierlänge von weniger als 500 Metern. Auch an der Aare um die Stadt Bern singen im Winter auf Steinen im Flachwasser oder am Ufer Wasseramseln. Voraussetzung ist ein offenes, fliessendes, sauerstoffreiches Gewässer mit nicht zu tiefem Wasserstand, sodass der steinige Grund zu erkennen ist. Oft sprudelt Wasser über Kaskaden.
Die Wasserqualität muss gut sein, sodass auch Forellen im Bach leben. Die Bahn von Zürich Richtung Zug fährt dem Fluss Sihl entlang. Auch das ist typisches Wasseramselgebiet! Gerade jetzt können dort vom Zug aus Wasseramseln am Fluss beobachtet werden. Wenn Gewässer tief sind oder wenn sich gar Tümpel bilden, eignen sie sich nicht für Wasseramseln.
WasseramselDer deutsche Name Wasseramsel ist verwirrend, denn dieser Vogel ist nicht mit der Amsel verwandt, sondern sieht ihr lediglich von den Proportionen her ähnlich. Die Wasseramsel (Cinclus cinclus) ist eine von fünf Arten der Gattung innerhalb der Familie der Cinclidae. Zwei Arten stammen aus Eurasien, eine aus Nordamerika und zwei aus Südamerika. Wo die Familie verwandtschaftlich hingehört, ist rätselhaft. Während sie früher zu den Zaunkönigen gestellt wurde, scheint sie heute eher den Drosseln zugeordnet zu werden. Von den Wasseramseln gibt es um die 13 Unterarten, die nicht nur in Nordafrika, sondern auch in China vorkommen.
Kugelnest aus Moos
Entlang der Worble ist das Gebiet störungsfrei, denn kaum jemand kann in manchen Abschnitten direkt an den Bach. Die Bahn, der Autoverkehr und oberhalb passierende Fussgänger sind kein Problem. Unterhalb des Fussstegs sind Nisthilfen angebracht. Dabei handelt es sich um kleine Holzkistchen. Dort hinein bauen die Wasseramseln ihr Kugelnest bereits Ende Februar aus Moos, denn Brutplätze an den flachen, betonierten Wänden sind sonst rar. Alte Nester werden immer wieder benützt und ausgebessert. Es handelt sich um eine geschlossene Kugel mit seitlichem Einflugloch. Das Paar mit den Jungen ist dort sicher vor Katzen, doch wenn die Kleinen ausfliegen, sind sie in grosser Gefahr.Stubentiger pirschen entlang des Bachs und erbeuten insbesondere unerfahrene Jungvögel.
Ein Gelege besteht meistens aus vier bis sechsweissen Eiern. Nur das Weibchen brütet vom vorletzten Ei an und wird zeitweise vom Männchen gefüttert. Nach 16 Tagen Brutzeit schlüpfen die Jungen. Beide Eltern füttern sie und entfernen die Kotballen. Nach 24 Tagen verlässt der Nachwuchs das Nest, wird aber noch rund 14 Tage von den Eltern betreut. Die Jungen sind hellbräunlich gefärbt, die Bäuche schmutzig-weiss. Sie sitzen bereits kühn auf Steinen im sprudelnden Wasser und betteln nach Futter. Trotz des spezialisierten Lebensraums sind Wasseramseln nicht gefährdet und kommen in der Schweiz häufig vor, am Bergbach wie am Fliessgewässer in der Agglomeration. In Zoos oder Vogelparks wird die Art nicht mehr gehalten. 1983 gelang im Alpenzoo im österreichischen Innsbruck die Welterstzucht, 1996 glückte gar die Elternaufzucht in einer Voliere mit Bachlauf. Da die Wasseramsel sehr territorial ist, kann sie nur zur Brutzeit als Paar in der gleichen Voliere gehalten werden.
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