Ylla (1911–1955), ausgesprochen Ee-la, darf als erste Fotografin bezeichnet werden, die sich auf Tierporträts spezialisierte. In der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre Tierfotos in unzähligen Büchern und Zeitschriften in Europa und Amerika abgedruckt und an Ausstellungen in namhaften Museen präsentiert. In einer Zeit, als noch niemand daran dachte, ein fotografisches Œuvre ausschliesslich auf Ausdrucksweisen und Persönlichkeiten von Tieren aufzubauen.

Der Weg dieser rastlosen gebürtigen Wienerin, einmal zur bedeutenden Vertreterin der sogenannt humanistischen Fotografie – notabene mit Bildern, die tierische Gefühlsausdrücke abbilden – zu werden, war indes nicht vorgezeichnet.

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Ihren Anfang nahm Yllas Geschichte in Wien, wo sie 1911 als Camilla Henriette Koffler geboren wurde. Nicht unüblich für die kosmopolitische Hauptstadt des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn hatte sie eine plurinationale Abstammung – ihre Mutter war kroatischer und ihr Vater rumänischer Herkunft. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, begannen für die junge Camilla und ihre Mutter, ständig auf der Flucht vor den herannahenden Truppen, unstete Wanderjahre zwischen Budapest, Zagreb, Bukarest und Belgrad. Nach dem Krieg liessen sich die beiden in Belgrad nieder. Hier wurde es zu Camillas Leidenschaft, gemeinsam mit ihrer Cousine streunende Hunde und Katzen so lange aufzupäppeln, bis sie in ein schönes Zuhause weitervermittelt werden konnten.

Im Alter von nur 15 Jahren nahm Camilla an der Kunstgewerbeschule von Belgrad ein Studium in Angriff – mit Fokus auf die Bildhauerei. Als sich ihre Mitstudierenden darüber lustig machten, dass ihr Name auf Serbisch «Kamel» bedeutete, beschloss sie, ihn auf Illa abzukürzen. Später, als etablierte Fotografin, verkürzte sie Illa Koffler nochmals auf ihren Künstlernamen Ylla.

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Fotografischer Einstieg und Aufstieg

1932 lief Yllas serbisches Visum aus und die junge Frau drohte staatenlos zu werden. Also entschied sie sich Ende 1931 für einen Umzug in die vibrierende Künstlerstadt Paris. Erst sollte sie dort ihre Studien im Bereich der Bildhauerei weiterführen, bevor sie erstmals in Kontakt mit der Fotografie kam. Türöffnerin zu diesem Medium war Ergy Landau (1896–1967), eine gebürtige Ungarin, die sich Anfang der 1930er-Jahre in Paris bereits einen Namen als Fotografin gemacht hatte. Ylla freundete sich mit der ungarisch-französischen Fotografin an und wurde schliesslich von ihr, wie übrigens auch die später bekannte Fotografin Nora Dumas, als Assistentin zum Retouchieren von Fotos angestellt. Bald schon griff Ylla selber zur Kamera. Als sie ihren damaligen Architekten-Freund einen Sommer lang für ein Bauprojekt in die Normandie begleitete, fand sie dort Gefallen daran, Nutztiere zu porträtieren, denen sie bei ihren einsamen Streifzügen übers Land begegnete. Begeistert vom Ergebnis, ermutigte Ergy Landau sie, die Tierfotografie weiterzuverfolgen. Gleichzeitig arrangierte die etablierte Fotografin eine Ausstellung in Paris, wo Ylla ihre Bilder einem ausgewählten Publikum zeigen konnte. Bald darauf eröffnete Ylla das erste Porträtstudio für Tiere in Paris. Die junge Frau versuchte, bei Tierärzten oder auf Hundeshows Kunden im Heimtierbereich zu gewinnen. Zudem unternahm sie regelmässig Ausflüge in Zoos, um dort exotische Tiere abzulichten.

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Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten; 1936 wurden Fotos von Ylla an der Exposition internationale de la photographie contemporaine im Pariser Louvre ausgestellt und auch in der Retrospektive auf die ersten 100 Jahre des Mediums im New Yorker Museum of Modern Art waren Yllas Tierbilder vertreten – zwei Fotoausstellungen, die wegweisend waren und die Besten ihres Fachs vereinten. Zudem erschienen ihre Tierporträts in so namhaften Zeitschriften wie der «Picture Post», «Marie Claire» und «Regard». Mit Kinderbuchklassikern wie «Der kleine Löwe» (1947) oder «Zwei kleine Bären» (1954) gelang es Ylla zudem, die Tierfotografie ins Genre der Jugendliteratur einzuführen. Zuvor wandte sie sich für Buchprojekte auch wissenschaftlichen Themen zu und illustrierte das Buch «Die Sprache der Tiere»(1938) des englischen Biologen Julian Huxley.

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Kurioser Neubeginn in den USA

Ein zweites Mal machte ein Krieg Ylla zur Vertriebenen. Als die Nationalsozialisten in Frankreich einmarschierten, floh die Jüdin quer durch Frankreich. In Marseille musste die mittlerweile auftragslose und nahezu mittellose Fotografin lange darum bangen, an Bord eines Schiffes nach Amerika zu gelangen. Mit einem der letzten Schiffe, das Marseille verlassen konnte, erreichte sie 1941 New York.

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Dort musste Ylla ihre Karriere neu aufbauen. Dies gelang ihr nicht zuletzt dank eines Unfalls. Im Bronx Zoo hatte sie den Auftrag erhalten, Pandas zu fotografieren, einer biss sie dabei ins Bein. Es waren dann nicht die Bilder der Pandas, die als erste Eingang in die Tageszeitungen fanden und Aufmerksamkeit erregten, sondern das Porträt der Fotografin mit eingebundenem Bein. Als «Camera Lady with beautiful legs» wurde sie im Stile eines Modells inszeniert. Diese Darstellung unterschied sich diametral dazu, wie sich Yella selber sah und präsentierte. Während ihrer Zoobesuche und vor allem auf ihren beiden späteren Reisen nach Afrika und Indien, denen die zwei einzigartigen Bildbände «Animals in Africa» (1953) und «Animals in India» (1958) folgten, verpasste sie es nicht, sich als unerschrockene, tierflüsternde Abenteurerin gemeinsam mit Elefanten, Affen und Nashörnern in Szene zu setzen – ganz im Stile Annemarie Schwarzenbachs (1908–1942), die in dieser Generation den Typus der weitgereisten, progressiven und unabhängigen Frau par excellence verkörperte. Tatsächlich scheute Ylla keine Mühen, um an spektakuläre Tieraufnahmen zu kommen. So fand sie dann auch im Alter von nur 43 Jahren einen tragischen Unfalltod, als sie in Indien ein Wasserbüffelrennen festhalten wollte und von einem fahrenden Jeep fiel.

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Verniedlicht und vermenschlicht

Buchautor Pryor Dodge verpasst es zwar nicht, diese Divergenz in der Darstellung Yllas zu benennen und festzuhalten, wie sie teils damit kokettierte, dass damals einer Frau solch gewagte Tieraufnahmen kaum zugetraut wurden. Ansonsten bleibt der Band «Ylla. The Birth of Modern Animal Photography» allerdings zu sehr der chronologischen Nachzeichnung von Yllas Lebensgeschichte verhaftet. Dodge, dessen Patin Ylla war, verpasst es, eine punktuelle Betrachtung gewisser Aspekte ihres Werkes in Angriff zu nehmen. Dabei wäre eine fotohistorische oder gesellschaftspolitische Kontextualisierung ihrer Arbeit höchst spannend.

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Beim genauen Betrachten von Yllas Tierporträts fällt beispielsweise auf, dass diese meist aus einer Untersicht aufgenommen wurden. Die Tiere äugen auf den Betrachtenden hinunter, wodurch wohl eine Beziehung hergestellt und eine Erhabenheit des Tieres impliziert werden sollte. Dieses Spiel mit ungewohnten Perspektiven, wie etwa auch die Rückansicht eines Zebras oder die drei Giraffenhälse, die wie Diagonalen das Bild durchziehen, können als ein Herantasten an die damals aufkommenden Ansätze des Neuen Sehens verstanden werden.

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Yllas Fotos weisen nicht nur formale Besonderheiten auf. Sie zeigen auch, wie anders damals das Verständnis vom Umgang und der Würde der Tiere war. Zwar wird Yllas Absicht, die Persönlichkeit der Tiere herauszuarbeiten, und ihr enger Bezug zu den Tieren gut ersichtlich. Oft setzt die Fotografin jedoch auf eine verniedlichende und vermenschlichende Tierdarstellung. Wenn Buchautor Pryor Dodge notiert: «Zur Freude ihrer Lesenden arrangierte Ylla oft artübergreifende Spieltreffen», so wäre es heute nicht mehr denkbar, ein Küken einem Jungbären gegenüberzusetzen oder einen jungen Affen einer Ente. Und sich dabei ablichten zu lassen, wie man einem verschreckten jungen Elefanten am Ohr zupft, würde heute keine Welle der Begeisterung, sondern eher ein Sturm öffentlicher Entrüstung auslösen.

So gewähren die Bilder der Pionierin der Tierfotografie nicht nur Einblick in die Lebenswelten und Persönlichkeiten von Tieren, sondern auch in das damalige Verständnis dieser Kreaturen, der Weiblichkeit und des Mediums Fotografie.

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Schmökerecke
Pryor Dodge: «Ylla. The Birth of Modern Animal Photography», 240 Seiten, in englischer Sprache, mit zahlreichen Fotos, Hirmer-Verlag.