Es ist unerwartet kühl im Emmental. Scheint nicht gerade die Sonne durch die Schleierwolken, sind die Plätze um den Grill herum heiss begehrt. Auch eine Runde Fussball auf der grossen Rasenfläche hilft, um sich aufzuwärmen. Die meisten jedoch packen einfach einen Pullover aus, während sie an den langen Tischen beieinandersitzen, Nudelsalat mit Bratwürsten essen und sich lachend unterhalten oder hitzig diskutieren.

Der Brätliplatz im Hapbachmösli in Bärau bei Langnau ist an diesem frühen Juniwochenende gut gefüllt. Kein Wunder, bietet das Areal doch alles, was für einen komfortablen Nachmittag nötig ist. So etwa eine grosszügige, aus Stein gefertigte Grillstelle, mehrere Sitzmöglichkeiten und sogar eine saubere Toilette – eine echte Luxusbrätlistelle, sozusagen.

Auf dem Spielplatz schaukeln Kinder, eine Gruppe wirft Kugeln über die Pétanque-Bahn und die beiden grössten Tische werden von einem Familienfest beschlagnahmt. An einem weiteren sitzt Familie Zahno: die Eltern Irene und Markus mit ihren Söhnen Lukas und Manuel. Die Emmentaler sind so etwas wie Profis, wenn es ums Bräteln geht. Seit mehreren Jahren betreiben sie gemeinsam die Internetseite Brätlistellen.ch.

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Auf dieser werden Brätlistellen in den Kantonen Bern, Freiburg und Luzern aufgelistet, beschrieben und bewertet. Für jede Stelle vergibt die Familie eine bis sechs Bratwürste: eine Wurst für Orte, für die sich die Familie nicht erwärmen konnte, und sechs Würste für jene Brätlistellen, die wirklich alles bieten – von Spielmöglichkeiten über Toiletten bis hin zu einem Brennholzlager – und auch noch gut erreichbar sind. Zu diesen Spitzenreitern gehört auch das Hapbachmösli.

Von einfach bis sehr kreativ

«Aktuell haben wir über 500 Brätlistellen auf der Seite aufgeführt», verrät Markus Zahno mit einem sanften Lächeln, «und wir wissen sicher von 500 weiteren, die wir irgendwann noch besuchen möchten.» Die vier verbringen fast jedes Wochenende auf einer anderen Brätlistelle. Jedes Familienmitglied besitzt einen eigenen Rucksack, auf welche die ganze Ausrüstung aufgeteilt ist. «So wissen wir immer, dass das Wichtigste auch eingepackt ist», sagt Irene Zahno. Sie, von Beruf Gemeindeschreiberin, ist für die Logistik zuständig: Sie packt die Taschen, lenkt das Auto, organisiert das Essen.

Eine fixe Packliste gäbe es für den Ausflug in die Natur jedoch nicht, meint sie weiter. Was man tatsächlich mitnimmt, komme darauf an, wohin man gehe und wie ausgefallen man es haben wolle. Teilweise sei das Brennholz bereits vorhanden, an anderen Orten müsse man es erst im Wald sammeln. An manchen Orten gibt es Bänke und Tische, woanders setzt man sich einfach mit der Decke ins Gras. Und während oft ein Rost vorhanden ist, müsse halt manchmal auch mit Stock und Stein improvisiert werden. Bräteln sei eben nicht gleich Bräteln.

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Das merkt man auch an jenem Nachmittag: Auf dem Rost der Feuerstelle, die von allen Anwesenden gemeinsam genutzt wird, liegen verschiedene Würste, mariniertes Fleisch, Grillkäse, Peperoni- und Zucchettischeiben sowie sogar zwei kleine Pizzataschen. Letztere sind gefüllt mit Mozzarella und Salami und stammen natürlich von den Brätelprofis. Stockbrot oder Pizzateig hätten sie meistens dabei, so Irene Zahno: «Wenn einem das Bräteln nicht irgendwann verleiden soll, muss man kreativ bleiben.»

Von ganzen Fischen, die übers Feuer gepackt wurden, bis hin zu richtigen Töpfen voller Risotto oder exotischen Gerichten hat Familie Zahno in den letzten Jahren bereits vieles gesehen. Auf einer Brätlistelle trifft man nämlich längst nicht mehr nur auf Herrn und Frau Schweizer – gerade urbane Plätze werden mittlerweile von allen möglichen Kulturen genutzt. Entsprechend sozial sei das Zusammenkommen auch. «Einige wollen unter sich sein», erzählt Markus Zahno, «andere bieten einem eine Portion und ein Bier an.»

Je zentraler ein Platz ist und je einfacher man ihn mit dem Auto und dem öffentlichen Verkehr erreichen kann, desto intensiver wird er genutzt. Das sieht man bereits hier im Emmental, im Hapbachmösli. Deutlich extremer wird es in den Städten, wo es mittlerweile in vielen Pärken und Grünflächen ebenfalls Grillstellen gibt. Brätlistellen wirken oft überfüllt. Diesen Eindruck kann Zahno, von Beruf Journalist, zwar nachvollziehen, «doch man darf schlicht nicht verallgemeinern.»

Es komme immer darauf an, wo es einen hinziehe. Je abgelegener eine Brätlistelle, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie unbesetzt ist. Erst vor Kurzem etwa, da habe er einen Ort entdeckt, gar nicht weit von seinem Zuhause entfernt. Abgelegen im Wald habe jemand aus einer alten Milchkanne einen Grill gebastelt. «Dort hätte es heute sicher noch Platz», sagt Zahno und ergänzt mit einem Grinsen: «Das zeigt, wie kreativ eine Brätlistelle errichtet werden kann.»

Anstand muss sein

Natürlich könne man einfach ins Blaue hinaus loslaufen und schauen, wo es einen hintreibt. Aber Schweizerinnen und Schweizer planen gerne – es erstaunt also nicht, dass Internetseiten wie jene von Familie Zahno grossen Anklang finden. «Besonders seit Corona haben die Zugriffe auf unsere Seite massiv zugenommen», erzählt Markus Zahno und steckt sich eine Cherrytomate in den Mund. Und dies, ganz ohne dass die Familie Werbung für ihr Projekt gemacht hätte.

Woher die Faszination fürs Bräteln komme, sei schwer zu beantworten. Dass es die Menschen in den Zeiten von Lockdown und sozialer Isolation vermehrt in die Natur gezogen habe, weiss man zwar mittlerweile. Gebrätelt wurde in der Schweiz aber schon vorher regelmässig. Sie könnten nur für sich sprechen, ergänzt Irene Zahno: «Wir sind draussen, sind zusammen, die Kinder werden beschäftigt und gleichzeitig müssen wir nicht immer einen riesigen Weg auf uns nehmen.» Für sie ein super Kompromiss.

Damit jeder und jede eine Brätlistelle geniessen kann, müssen ein paar grundlegende Regeln beachtet werden. Familie Zahno hat zehn Regeln kreiert, die meist dem gesunden Menschenverstand entsprechen. Alles läuft darauf heraus, dass man zur Feuerstelle und zum Platz Sorge trägt. «Die meisten Brätlistellenwerden von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gebaut und unterhalten», erklärt der Profi.

Sie würden viel Zeit aufwenden, damit wir unbeschwert grillieren könnten. Entsprechend solle man den eigenen Müll einpacken oder richtig entsorgen, das bereitgestellte Holz massvoll verwenden und freundlich mit den Mitbrätelnden umgehen. Ganz so, wie es Familie Zahno an jenem Tag im Hapbachmösli vorlebt. NachdemPizza und Nudelsalat gegessen sind, wird mit den Kindern Fussball gespielt oder mit den Tischnachbarn geredet. So lange, bis das kühle Wetter überhandnimmt und sich die Brätlistelle langsam wieder leert.

Zehn Brätlistellen-Regeln
1. Wir tragen grundsätzlich Sorge zur Feuerstelle.
2. Abfall wird weder verbrannt noch liegen gelassen, sondern richtig entsorgt oder wieder mit nach Hause genommen.
3. Auf keinen Fall reissen wir Äste von Bäumen oder fällen Büsche. Genutzt werden sollte nur das, was am Waldboden herumliegt.
4. Das bereitgestellte Holz wird von uns massvoll verfeuert.
5. Zum Anzünden nutzen wir niemals Benzin oder andere flüssige Brennstoffe, sondern Zeitungen, Tannenreisig oder Anzündwürfel.
6. Wir lassen das Feuer nie unbeaufsichtigt.
7. Feuerverbote wegen Waldbrandgefahr werden von uns unbedingt befolgt.
8. Wir beachten das grundsätzliche Fahrverbot für Motorfahrzeuge, das auf allen Waldstrassen gilt.
9. Bevor wir gehen, löschen wir das Feuer und kontrollieren, dass restliche Glut nicht vom Wind verblasen werden kann.
10. Kurz und gut: Wir verlassen die Brätlistelle so, wie wir sie anzutreffen wünschen.