Es ist nass im Wald. Dicke Regentropfen verwandeln den Boden in eine schlammige Brühe. Auf einem grossen Holzstapel steht ein junger Mann mit schweren Schuhen und orangefarbenem Schutzhelm und schmeisst die Motorsäge an. Schneidet die Äste von dicken Baumstämmen, rupft einen davon unter der Beige hervor, verliert fast das Gleichgewicht und wirft ihn, kaum hat er sich gefangen, auf den Waldboden. 

Der Zivildienstleistende ist Teil des Teams von Albert von Felten, Geschäftsleiter von Naturwerk, einem gemeinnützigen Verein mit Sitz im aargauischen Windisch. «Unser Ziel ist es, eine praktische Gruppe zu haben, die draussen Naturschutzmassnahmen umsetzt», erklärt von Felten. Neben vier Festangestellten greift er dabei auf «Zivis» zurück, im Sommer, wenn die meiste Arbeit ansteht, rund zwanzig davon. «Dann bekämpfen wir zum grossen Teil Neophyten, eingeschleppte Pflanzen, aber wir legen auch Weiher an, pflegen Hecken oder bauen Trockenmauern.» 

Diese Woche steht für die Truppe zur Abwechslung eine ganz andere Arbeit an: Sie baut Faschinen. Holzbündel mit einer bewegten Geschichte. So schreibt schon die «Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste» aus dem Jahr 1845: «Faschinen sind zusammengebundene Baumäste, die man bei dem Wasserbaue sowohl als im Kriege vielfach anwendet.» Albert von Felten und sein Team konstruieren im Wald oberhalb von Brugg AG selbstredend keine Kriegsutensilien (siehe Kasten), sondern Faschinen für den Wasserbau.

Hundert Bündel in zwei Wochen
Auf einen Metallbock laden zwei der Zivildienstleistenden dünne Zweige, aber auch fünfliberdicke oder noch massivere Äste. «Das dicke Ende kommt immer einmal links und einmal rechts», erklärt von Felten. So wird das Bündel schön gleichmässig. Der Chef wendet sich an einen «Zivi» und weist ihn an: «Schau, dass das schön bündig wird da. Sonst müssen wir zu viel abschneiden.» Der Bock ist bald vollständig mit Holz gefüllt. Noch sieht das Ganze aus wie ein Haufen feuchtes Brennholz, doch der wird nun zusammengedrückt und mit einem Spanngurt zusammengehalten. Um das Päckchen bindet einer der jungen Männer ein Stahlband, fährt es in ein Gerät ein und hebelt das Band damit fest um das Holz. Fertig ist die Faschine.

Rund 100 dieser Holzbündel stellen von Felten und seine Mitarbeiter in ihrem zweiwöchigen Einsatz her. Der Auftrag dafür kommt aus dem Kanton St. Gallen. «Ich war etwas überrascht, denn normalerweise arbeiten wir für Leute aus der Region.» In der Ostschweiz sollen die Faschinen in einem Bach zu liegen kommen, der revitalisiert wird. Ihren Zweck erklärt von Felten: «Im Rank, wo die Wassermassen eigentlich geradeaus gehen würden, helfen die Faschinen, es um die Kurve zu leiten.» Eine Leitplanke fürs Wasser also, das durch das Holz in der Bahn bleibt. Ohne sie würde sich das Wasser im Laufe der Zeit immer tiefer ins Ufer fressen, es unterhöhlen und letztlich zusammenbrechen lassen. 

Die Linth bezwingt sich selber
In jüngerer Zeit werden immer mehr Flüsse und Bäche renaturiert, man gibt ihnen ihre ursprüngliche Gestalt zurück, verbreitert sie oder lässt sie mäandrieren. Dies geschieht im Sinne des Naturschutzes, denn natürliche Gewässer und Ufer steigern die Artenvielfalt, bieten Tieren und Pflanzen eine Heimat, die an einem schnurgeraden Betonkanal nicht überleben würden. Bei solchen Renaturierungen sind neben Natursteinen oft Faschinen gefragt, zumal auch sie selbst Tieren eine neue ökologische Nische bieten. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie von Felten erklärt: «Faschinen an einem unterspülten Ufer bieten Fischen einen Unterstand. Junge Fische können sich auch zwischen den Ästen vor Räubern verstecken.» Die Fauna über Wasser profitiert ebenfalls: «Zwischen den Zweigen herrscht ein recht warmes Klima. Dort bietet sich ein Lebensraum für Zauneidechsen oder sogar Schlangen.»

Das Ende der Flussbegradigungen und Kanalisierungen hat das Revival der Faschinen eingeläutet. Paradox eigentlich, denn genau sie haben zuweilen Kanäle erst möglich gemacht. Der Escherkanal beispielsweise sorgt dafür, dass die Linth im Glarnerland erst durch den Walensee fliesst, um dort mitgeschwemmtes Geröll abzulagern, anstatt damit die Linthebene zu verstopfen. Der Kanal wurde 1811 fertiggestellt, unter dem Einsatz von Faschinen: Mit den Holzbündeln wurde die Linth in ein neues, begradigtes Korsett gezwängt, floss dadurch schneller und grub sich selber ein neues Flussbett. Oder wie es der Ingenieur des nach ihm benannten Kanals, Hans Conrad Escher, noch während des Baus bezeichnete: «(Wir haben angefangen), die Linth mit Faschinen zusammenzudrängen, um sie zu ihrer eigenen Vertiefung durch sich selbst zu zwingen.»

Lebendes Holz schlägt wieder aus
Mittlerweile häufen sich die Faschinen in Brugg zu einer stattlichen Ansammlung an. «Zehn bis zwölf Stück schaffen wir normalerweise an einem Tag», sagt Albert von Felten. «Diese hier sind aber etwas speziell, weil sie aus Totholz sind.» Aus Holz von Bäumen, die schon vor längerer Zeit gefällt wurden, wachsen keine neuen Triebe mehr. Üblicherweise, so erklärt von Felten, werden Faschinen direkt vor Ort hergestellt, aus frisch geschnittenem Holz. «Meistens sind das Weiden oder Erlen, die direkt am Wasser wachsen. Die schlagen dann wieder aus und verwurzeln sich im Ufer.» Das stabilisiert den Gewässerrand langfristig.

Faschinen im Krieg
Schon zur Ritterzeit waren Faschinen ein gebräuchliches Hilfsmittel im Krieg. Beim Angriff auf eine Burg etwa benützten sie die Angreifer, um den Wassergraben aufzufüllen und trockenen Fusses zu überwinden. Noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Faschinen verwendet, um Gräben und Flüsse mit Panzern zu überqueren und um ganze Artilleriestellungen zu bauen, hinter denen die Soldaten Schutz vor dem Feind hatten.
Der Begriff «Faschismus» hingegen stammt nicht von diesen grossen Bündeln, sondern von den «Fasces», kleinen Reisigbündeln, in denen ein Beil steckt (heute noch im Wappen von St. Gallen zu sehen). Zur Römerzeit trugen die Beschützer der Machthaber solche Bündel, um ihren Herren den Weg frei zu machen. Später war ihre Funktion nur noch symbolisch, verschwand und blühte Anfang des 20. Jahr­hunderts unter dem italienischen Diktator Mussolini wieder auf.

Der Kunde aus der Ostschweiz hat hingegen totes Holz verlangt. Von Felten erklärt, wieso: «Sie installieren die Faschinen in einer schwer zugänglichen Böschungskurve. Lebendes Holz müssten sie regelmässig nachstutzen, das können sie dort nicht.» Also verwendet die Truppe das Holz, das ihr gerade in die Hände gerät: Buche, Kirsche, Nadelhölzer.

Installiert werden die Faschinen mithilfe von Pflöcken. Diese entstehen weiter hinten, wo drei weitere «Zivis» am Werk sind: Einer reicht einen dicken Knebel, der zweite hält ihn fest und der dritte lässt einen riesigen mechanischen Bleistiftspitzer surren. Die Späne wirbeln fünf Sekunden lang umher, dann ist der Pflock spitz. «Die Pfähle werden kreuz­weise durch die Faschine in den Boden gerammt», sagt von Felten. So bleibt sie an Ort und Stelle. «Würde man die Pfähle senkrecht einschlagen, würde ein Hochwasser die Bündel herausheben und sie würden davonschwimmen.»

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