Klimawandel
Ohne Schneedecke blühen Gebirgspflanzen länger, aber schwächer
Seit den 1960er Jahren hat die Schneeschmelze jedes Jahrzehnt drei Tage früher eingesetzt. Im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts wird es sogar sechs Tage früher sein, wenn nicht die Treibhausgas-Notbremse gezogen wird. Für Gebirgspflanzen heisst das: früher einsetzende, aber schwächere Blüte, kleinere Blätter und erhöhte Anfälligkeit für Frostschäden.
Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Schneedecke auf 2500 Meter einen Monat früher weg sein als heute, wie Simulationen von Umweltwissenschaftlerinnen der Universität Basel zeigen, die am Freitag veröffentlicht wurden. Und unter 1600 Metern wird es so gut wie nie mehr eine kontinuierliche Schneedecke während 30 Tagen geben.
Maria Vorkauf vom Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Uni sowie des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung untersucht, was die früher einsetzende Schneeschmelze für Gebirgspflanzen bedeutet. Die gute Nachricht: Alpine Pflanzen werden sich nicht auf der Suche nach einer wohligen Schneedecke in die Höhe «flüchten», wie das oft angenommen wird.
«Die Topografie und Exposition des alpinen Geländes schafft sehr diverse Mikroklimata auf kleinstem Raum. In diese können die Pflanzen auf gleichbleibender Höhe über kurze Distanzen ausweichen», so Vorkauf. Und obwohl die Temperaturen im alpinen Raum schneller ansteigen, seien alpine Pflanzenarten nicht stärker vom Klimawandel betroffen als in anderen Höhenlagen.
Die vorzeitige Schneeschmelze könnte künftig dazu führen, dass sich die Wachstumszeit für alpine Pflanzen um rund ein Drittel verlängert. Das ist freilich nicht nur eitel Freude: Wie man aus Studien mit anderen alpinen Pflanzenarten weiss, führte ein früher Start der Wachstumsperiode zu einer geringeren Anzahl Blüten, zu einem reduzierten Blattwachstum und einer niedrigeren Überlebensrate aufgrund höherer Frostrisiken, gibt Vorkauf zu bedenken.
Simulation der alpinen Zukunft
Lange waren nur wenige Messreihen zur Schneedecke in hohen Lagen verfügbar, da Messungen meist nur in der Nähe bewohnter Gebiete, unterhalb von 2000 Metern stattfanden. Das änderte sich mit dem IMIS-Messnetzwerk (Integriertes Mess- und Informationssystem), das im Jahr 2000 in Betrieb genommen wurde.
Dieses erfasst die Schneehöhe zwischen 2000 und 3000 Metern im Halbstundentakt automatisch. Diese Daten kombinierten die Forschenden mit Messreihen von 23 tieferliegenden Stationen, deren manuelle Messungen bis mindestens 1958 zurückgehen.
Die Auswertung der Messdaten zeigte: Zwischen 1958 und 2019 ist die Schneedecke zwischen 1000 und 2500 Metern jedes Jahrzehnt durchschnittlich 2,8 Tage früher geschmolzen. Diese Verschiebung verlief jedoch nicht linear, sondern war Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre besonders ausgeprägt. Dies entspricht starken Temperaturzunahmen in dieser Zeitspanne, wie sie in der Klimaforschung nachgewiesen wurden.
Basierend auf den ausgewerteten Messdaten haben die Forschenden ein Modell entwickelt, das Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der alpinen Schneedecke ermöglicht. Dafür kombinierten sie ihre Daten mit den neusten Klimaszenarien für die Schweiz.
Wenn die Treibhausgas-Emissionen ohne konsequenten Klimaschutz weiter ansteigen wie bisher, dann wird sich das Datum der Schneeschmelze im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts mit grosser Wahrscheinlichkeit um sechs Tage pro Jahrzehnt vorverschieben. Das heisst, bis Ende Jahrhundert würde die Schneeschmelze auf 2500 Metern Höhe rund einen Monat früher stattfinden als heute.
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