Man sieht sie überall: Trinkbecher, Teller, Lebensmittelboxen, Blumentöpfe und Abfallsäcke aus sogenanntem Biokunststoff. Der Gedanke, diese Produkte mit der Grüngutsammlung zu entsorgen oder im eigenen Garten zu kompostieren, reizt nicht nur umweltbewusste Verbraucher. Viele Schweizer versuchen, auf alternative Materialien zu Plastik umzusteigen. Sich im Dschungel der jungen Verpackungsmaterialien zurecht zu finden, ist allerdings nicht einfach.

Joëlle Hérin, Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace Schweiz, findet die gegebene Lage äusserst problematisch. «Es gibt derzeit keine einheitliche Kennzeichnung für kompostierbare Plastikalternativen. Auch die Bezeichnung ist nicht einheitlich.» Mal heissen solche Produkte «bio-basiert», mal «biologisch abbaubar», «aus erneuerbaren Ressourcen» oder eben auch «kompostierbar». Hérin hält die Gefahr für Verwechslungen für sehr gross. «Der Unterschied ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Zudem verwirren die unterschiedlichen Begriffe den Verbraucher.» Allein die Bezeichnung «Bio» sei irreführend, denn die Rohstoffe würden nicht biologisch angebaut.

«Bio» ist nicht unbedingt bio

In der Tat ist der Begriff «Bio» weder geschützt noch beinhaltet er, dass das Material biologisch angebaut wurde oder kompostiert werden kann. Vielmehr steht die Kennzeichnung für ihre Quelle des nachwachsenden Rohstoffes wie Mais oder Zuckerrüben. Ebenso sind Materialien, die als «aus erneuerbaren Ressourcen» oder «bio-basiert» gekennzeichnet sind, nicht zwingend biologisch abbaubar. «Bio-basiert heisst nicht gleichzeitig kompostierbar oder biologisch abbaubar», warnt Hérin die Verbraucher davor, falsche Rückschlüsse zu ziehen.

Ob Plastik schnell oder langsam zerfällt, hängt nämlich nicht vom verwendeten Rohstoff ab. «Es gibt auch Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen, welcher nicht biologisch abbaubar oder eben auch kompostierbar ist.» Vielmehr kommt es auf die Verkettung der Moleküle an. So kann ein aus einem nachwachsendem Rohstoff produzierter Kunststoff ewig halten, wenn er entsprechend hergestellt wurde. Im Gegensatz dazu kann ein Kunststoff aus Erdöl bei entsprechender Herstellung biologisch abbaubar sein.

Die Bilanz von Bioverpackungen brilliert ebenso wenig wie die von Plastikmaterialien: Aufgrund der Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen zur Herstellung von Wegwerfprodukten kommt es zunehmend zu mehr Monokultur, was wiederum der Biodiversität schadet. Derzeit sind beispielsweise Verpackungen aus Bambus sehr beliebt. An sich hat diese Pflanze nur geringe ökologische Auswirkungen.

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Anders jedoch als Verpackungsrohstoff: Aufgrund von Entwaldung, Monokultur und dem Einsatz von Pestiziden ist Bambusgeschirr für die Umwelt eher schädlich, als dass es ihr nutzt. Kompostierbar sind solche Bambusprodukte letztlich zumeist auch nicht, da sie noch mit Kunststoff beschichtet werden müssen, um als wasserabweisendes Geschirr verwendet werden zu können.

Helfende, natürliche Mikroorganismen

Die meisten Plastikalternativen werden heute aus Polymilchsäuren, kurz PLA, hergestellt. Bei der hierbei verwendeten Kennzeichnung «biologisch abbaubar» handelt es sich laut Definition des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) um «Materialien, die durch natürlich auftretende Mikroorganismen vollständig abgebaut und in Wasser, Kohlenstoffdioxid und Biomasse umgewandelt werden». Sie werden auch als Biokunststoff oder kurz BAW bezeichnet. Die Rohstoffquelle spielt hierbei bedauerlicherweise keine Rolle. Somit ist es egal, ob erneuerbare oder fossile Ressourcen zur Herstellung verwendet wurden.

Die Menge solcher BAW-Produkte, die jährlich auf den Schweizer Markt kommt, beziffert eine 2016 vom Bafu in Auftrag gegebene Studie mit ca. 3000 Tonnen. In der Grünabfallschiene landeten davon im selben Jahr gerade mal geschätzte 640 Tonnen. Weltweit stecken BAW-Produkte zwar noch in den Kinderschuhen. Dennoch bietet der BAW-Sektor bereits mehreren Zehntausend Menschen in Europa Arbeit.

In Kompostieranlagen werden BAW-Produkte zu Kompost, in Vergärungsanlagen zu Gärgut und Biogas, zumeist aber werden sie in Kehrichtanlagen mit dem Restmüll verbrannt. Das hat seinen Grund: Nicht allerorts dürfen kompostierbare Verpackungen in das Grüngut – selbst, wenn «kompostierbar» draufsteht und sie vom Hersteller als solches angepriesen werden. Die Krux: Laut DIN-Norm muss eine Verpackung nach maximal 90 Tagen zu 90 Prozent zerfallen sein. Allerdings schafft dies nur der industrielle Standard, bei dem der Gärungsprozess bei 60 Grad Celsius ins Laufen gebracht wird. Wird diese Temperatur nicht erreicht, kann das Produkt im schlimmsten Fall selbst nach Jahren noch nicht komplett zerfallen sein.

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Für Kompostieranlagen sind 90 Tage vielerorts schon zu lang, da reines Grüngut aus Garten-, Küchen- und Landwirtschaftsabfällen normalerweise weitaus schneller zerfällt. Kompostierbare Verpackungen sind daher der Industrie ein Dorn im Auge. Der Störfaktor kann zu ungewünscht langen Kompostierungszeiten oder durch die aufwendige Aussortierung der restlichen Plastikteile zu erhöhten Kosten führen. Landwirtschaftliche Biogasanlagen und Feldrandkompostierungen wiederum kommen in der Regel nicht auf die notwendigen Temperaturen. Da die Abfallverwerter je nach Kanton unterschiedlich sein können, gelten oftmals regional verschiedene Regelungen, ob BAW-Produkte überhaupt in das Grüngut dürfen oder nicht.

Wer plant, den Bioplastikmüll einfach auf dem eigenen Komposthaufen im Garten zu entsorgen, den muss Hérin enttäuschen. Ein gesicherter weitgehender Abbau ist laut der Kreislaufwirtschaftsexpertin hier nicht gewährleistet. Selbst recycelt werden können diese Verpackung nur in Massen, da es oftmals zu Qualitätsverlusten in der Aufbereitung kommt.

Oft landen die Plastikalternativen deshalb beim Restmüll. Für die Umwelt mache dies letztlich keinen Unterschied, so Hérin. «Eine Studie von Carbotech aus dem Jahr 2013 zeigte, dass die Verwertung in Biogasanlagen bei den meisten untersuchten Produkten keinen ökologischen Vorteil gegenüber der Verbrennung in der Kehrichtverbrennungsanlage bringt.»

Was ist zu tun?

Ideal wäre also ein Rohstoff, der als Abfallprodukt anfällt und ungenutzt liegen bleibt, wobei er nach der Herstellung von Plastik recyclefähig sein müsste.Welche Rohstoffe dies sein könnten, daran forschen derzeit verschiedene Hochschulen. Bis konkrete Ergebnisse vorliegen, bleibt Konsumenten nur das Vermeiden von Verpackungen als beste Lösung.

Greenpeace schlägt daher für einen anderen Weg vor. Die Organisation plädiert für eine generelle Abkehr von Einwegverpackungen. «Herkömmlichen Plastik mit Bioplastik oder anderen Einwegverpackungen wie Papier oder Karton zu ersetzen, löst das Problem nicht», kritisiert Joëlle Hérin den derzeitigen Trend, auf alternative Materialien umzusteigen. Biologisch abbaubares Plastik lenke nur von der einzig richtigen Lösung ab: «Wir brauchen einen Totalumbau von Lieferketten zu Mehrwegverpackungen. Alles andere sind lediglich Scheinlösungen für die Plastikkrise.»

Kompost-Lexikon
Verwertungsbezogene Produkteigenschaften:
• «biologisch abbaubar»
• «kompostierbar»
• «vergärbar»

Ressourcenbezogene Produktbezeichnungen:
• «aus erneuerbaren Ressourcen»
• «aus nachwachsenden Rohstoffen», z.B. aus Mais oder Zuckerrüben