Die Verdauten

Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Für viele Pflanzen gilt das auch für die Ausbreitung ihrer Samen. Oft sind es besonders hübsche und leckere Früchtchen wie die Walderdbeere oder die Vogelbeere, die rot leuchten und Tieren signalisieren: «Friss mich!». Dabei können sie nur gewinnen, denn während ihre Samen oder Kerne das Verdauungssystem von Braunbär oder Amsel passieren, reisen sie im besten Fall viele Kilometer weit durch die Weltgeschichte, bevor sie wieder ausgeschieden werden.

Ein Problem dabei sind die ätzenden Verdauungssäfte. Die Samen sollen schliesslich nicht mit verdaut werden, deshalb sind sie oft besonders robust wie etwa die Steine von Oliven oder Kirschen. Meist aber hilft die Magensäure, Samen auf die Keimung vorzubereiten. Einige Pflanzen, zum Beispiel die Himbeere, sind sogar auf sie angewiesen: Ohne eine Darmpassage gelangen sie gar nicht erst zur Keimung.

Die Versteckten

Eichhörnchen mögen ja einigermassen intelligent sein, aber sich jedes einzelne Nuss- oder Eichelversteck zu merken, das sie sich im Herbst für ihren Wintervorrat anlegen? Nein, das schaffen sie garantiert nicht. Und genau das ist die Strategie von Eichen oder Haseln, um sich auszubreiten. Denn jedes versteckte Nüsschen ist eine Chance auf einen neuen Baum. Das gilt übrigens auch für die Arve, die für ihre Vermehrung in erster Linie auf vergessliche Tannenhäher angewiesen ist, von denen jeder einzelne pro Jahr mehrere Tausend versteckte Samen nicht wiederfindet.

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Die Kultivierten

Auch der Mensch spielt eine ganz wesentliche Rolle in der Ausbreitung von Pflanzen. Nur die Systematik, mit der er arbeitet, verlangt nach ihrer ganz eigenen Kategorie. Mais, Tomaten oder Kartoffeln haben ihren Weg nicht von allein zu uns gefunden, sie wurden nach der Entdeckung Amerikas nach Europa gebracht. Ja, selbst der Weizen kam erst in der Jungsteinzeit von der östlichen Mittelmeerküste zu uns. Die Strategie all dieser Pflanzen ist simpel, aber hocheffizient: Sie müssen einfach nur lecker und nahrhaft für uns Menschen sein, den Rest der Arbeit erledigen wir.

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Die Explosiven

Unter Hochdruck stehen die Samen der Springkräuter. Hierzulande kennt man insbesondere das aus Asien eingeschleppte Drüsige Springkraut (Bild), aber auch das seltenere Grosse Springkraut. Sie nutzen die gleiche Technik, um ihre Samen möglichst weit wegzuschleudern. Dazu lassen sie den Zellsaftdruck im Inneren ihrer gurkenförmigen Früchte so lange ansteigen, bis die Wände nachgeben.

Die Frucht platzt explosionsartig auf und lässt die Samen meterweit durch die Luft fliegen. Knabbernde Raupen oder auch menschliche Finger können das Aufplatzen beschleunigen, weshalb wir das Grosse Springkraut auch als «Rühr-mich-nicht-an» kennen. Andere Pflanzen, die mit hohem Zellsaftdruck und schlagartig nachgebenden Früchten arbeiten, sind etwa das Wiesenschaumkraut oder die Spritzgurke, deren Samen bis zu zwölf Meter weit geschleudert werden können.

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Die Katapulte

Ebenfalls auf tierische Mithilfe angewiesen sind die sogenannten Tierballisten, um ihre Samen zu verteilen. Meist erkennt man sie an ihren langen, stacheligen Stängeln oder Ästen, die sich in Tierfellen verfangen, sich biegen und dann blitzartig zurückschnellen, um die Samen in hohem Bogen zu entlassen. Karden sind Spezialisten für diese Methode. Andere Katapult-Pflanzen wie Salbei oder Basilikum vertrauen nicht auf Tiere, sondern auf dicke Regentropfen, die mit genug Wucht auf die Pflanzen treffen, um die winzigen Samen weit hinauszuschleudern.

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Die Surfer

Die Frucht der Sumpfdotterblume öffnet sich nur, wenn sie nass wird. Das hat einen guten Grund, denn die Samen verlassen sich gänzlich darauf, vom Regen weggeschwemmt und verbreitet zu werden. Angst davor, plötzlich auf dem Grund eines Baches zu landen, müssen sie nicht haben, die Samen sind nämlich schwimmfähig und landen irgendwann an einem sicheren Ufer, wo aus ihnen eine neue Pflanze entstehen kann. Anders als die Sumpfdotterblume mag der Mauerpfeffer lieber trockene Lebensräume. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass er dieselbe Strategie zur Ausbreitung seiner Samen verwendet.

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Die Fallschirmspringer

Jedes Kind hat schon mal so fest wie möglich auf einen verblühten Löwenzahn gepustet. Die federleichten Fallschirmchen fliegen meterweit – und noch viel weiter, wenn sie ein Luftstoss erwischt. In der Leichtigkeit liegt das Geheimnis dieser Art der pflanzlichen Samenverbreitung. Aber es gibt auch etwas schwerere Samen, die sich den Wind und ihre eigene Flugfähigkeit zunutze machen.

Zum Beispiel die kleinen Propeller des Ahorns, die beim Herunterfallen rotieren und so ziemliche Distanzen zurücklegen können, bis sie am Boden landen. Etwas weniger weit, aber mit dem gleichen System verteilt der Klatschmohn seine Samen. Sie sind in einer Kapsel gefangen, die einem Pfefferstreuer ähnelt. Ist der Wind stark genug, neigt sich dieser und entlässt die Samen in die Freiheit.

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