Die Dachspopulation in der Schweiz hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Tierarzt Martin Wehrle, der sich in den über 20 Jahren als Kurator des Tierparks Goldau auch um etliche Europäische Dachse (Meles meles) kümmerte, sieht hierfür verschiedene Gründe. Zum einen ist die Staupe – eine seuchenartige Viruserkrankung, die neben Dachsen auch Füchse und Hunde befallen kann – in den letzten Jahren nicht seuchenartig ausgebrochen. Zudem kamen dem Dachs die milden Winter zugute. Momentan können die sympathischen Sohlengänger mit der schwarz-weissen Gesichtsmaske und dem silber-grauen Fell futtertechnisch aus dem Vollen schöpfen. «Die grosse Mäusepopulation sorgt für einen reich gedeckten Futtertisch, zudem finden Dachse auch in Stadtpärken oder Friedhöfen gut Futter und plündern schon mal einen Abfallsack», so Martin Wehrle. Hinsichtlich ihres Speiseplans sind die Marderartigen nämlich sehr flexibel und anpassungsfähig. Sie gehören zu den Allesfressern. Mit ihrer rüsselartigen Schnauze wühlen sie im Boden nach Würmern, Engerlingen und Käfern. Im Herbst schmecken ihnen auch reife Beeren, Fallobst und Getreide vorzüglich.

«Dachse werden oft unterschätzt und für plump gehalten, dabei sind sie sehr flink.»

Doch auch wenn Dachse viel häufiger und in der gesamten Schweiz vorkommen – ganz genaue Zahlen zum aktuellen Bestand gibt es keine –, denn zu Gesicht bekommen wir die durchschnittlich zwölf Kilogramm schweren Erdmarder, wie die Tiere auch genannt werden, kaum. Das liegt daran, dass sie erst in der Dämmerung und vor allem nachts aktiv werden. Dann gehen sie auf Nahrungssuche und legen dafür bis zehn Kilometer zurück, bevor sie in der Morgendämmerung wieder in ihrem Bau verschwinden. Den Tag verbringen sie gut versteckt in ihrer selbst gegrabenen Dachsburg. Diese Baue werden meist in Laubwäldern angelegt, befinden sich ständig im Ausbau und können über viele Generationen bewohnt werden. In Grossbritannien soll es einen Dachsbau geben, der seit sage und schreibe 475 Jahren ständig bewohnt wird. In diesen geräumigen Höhlengängen mit Wohnkammern und oft mehreren Ein- und Ausgängen lebt jeweils ein ganzer Dachsclan. Das sind bis zu sechs erwachsene Tiere mit ihren zwei bis sechs Jungtieren pro Wurf. Auch während den kalten Wintermonaten verkriechen sich die Dachse in ihren Bau. Sie legen zwar keinen richtig tiefen Winterschlaf ein, jedoch eine Winterruhe. Dabei ist ihr Stoffwechsel stark heruntergefahren und nur selten wachen die Dachse auf und machen kurze Ausflüge zur Futtersuche. Damit sie genug Reserven haben, fressen sich die Dachse im Herbst mit vielen zuckerhaltigen Früchten ein Fettpolster an.

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Kleine Augen, grosse Nase

Möchte man Dachse bei Tag beobachten, dann empfiehlt sich zum Beispiel ein Ausflug in den Tierpark Goldau. Dort lebt ein vierjähriges Paar von Geschwister, das aufgrund der Fütterungszeiten im Verlaufe des Morgens und Nachmittags auch tagsüber aktiv ist und zudem durch eine Glasscheibe in ihrem Bau beobachtet werden kann. 2019 wurden die beiden Dachsjungen bei der Auffangstation des Tierparks abgegeben, nachdem sie ihre Mutter verloren hatten. Reviertierpfleger René Gisler engagierte sich stark an der Handaufzucht der beiden Racker. «Die zwei sind nun halbzahm; als sie so weit selbstständig waren, dass wir sie in ihr Gehege entlassen konnten,haben wir nicht mehr mit ihnen weitergearbeitet», sagt Gisler. Denn bei nahem Menschenkontakt können vor allem die männlichen Tiere immer fordernder und teils etwas aufmüpfig werden, weiss der Tierpfleger aus Erfahrung. «So ein Dachsbiss ist nicht ohne; aufgrund ihrer scharfen Zähne und des durch einen Knochenkamm am Hinterkopf verstärkten Kiefergelenks besitzen sie eine enorme Beisskraft.» Diese setzen sie aber glücklicherweise nur ein, um die Eierschalen zu knacken, das Rindfleisch zu zerkauen und an den Mineralwürfeln zu nagen, die sie zum Fressen bekommen. Bevor es so weit ist, müssen die Dachse aber erst noch ihre hervorragende Nase einsetzen. René Gisler hat das Frühstück nämlich in ausgehölten Baumstrünken, unter Gebüschen und zwischen Steinen versteckt. Das sorgt für Beschäftigung und dafür, dass die Krähen nicht das Futter wegschnappen. Und bald schon wuselt das Dachsmännchen neugierig um uns herum. Erst einmal macht es sich auf die Suche nach den Trauben, die scheinbar ein besonderer Leckerbissen sind. «Die Augen der Dachse sind verhältnismässig klein, dafür ist ihr Geruchssinn umso stärker», weiss René Gisler. Das Weibchen ist noch etwas zurückhaltender. Die fremde Person, die plötzlich im Gehege steht, sorgt bei der Dachsdame für Verunsicherung. Doch schon bald kitzeln die feinen Fleischgerüche so fest in der Nase, dass auch sie sich auf die Futtersuche wagt. Das genüssliche Schmatzen ist nicht zu überhören.

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Zusammenleben mit Hindernissen

Wenn wir die Dachse im Tierpark beobachten, wirkt das Geschmatze süss. Etwas weniger lustig findet es der Landwirt, wenn die Dachse sich am Maisfeld gütlich tun. Maiskolben finden die Vierbeiner nämlich besonders lecker und bei ihren nächtlichen Ausflügen ins Maisfeld können sie eine Spur der Verwüstung, ähnlich der von Wildschweinen, hinterlassen. Auch vor Beerensträuchern oder dem Kompost im Garten machen Dachse nicht halt. «Mit ihrer starken Schnauze können sie enorm lochen und pflügen ganze Rasenflächen um», so René Gisler. Wenn das auf dem schön gepflegten Gartensitzplatz passiert, bricht wohl nicht jeder Hausbesitzer in Freudentänze aus. Dachse scheinen zwar Kulturfolger zu sein, ob sie ähnlich stark wie Füchse in urbane Gebiete vorstossen und dort richtige Stadtpopulationen bilden, wird sich erst noch zeigen. Mit Füchsen teilen sich Dachse übriges nicht nur den Lebensraum, sondern manchmal sogar den Bau. Es wäre schön, könnten auch Mensch und Dachs, wenn auch nicht ganz so symbiotisch, zusammenleben. Der Dachs ist nämlich nicht nur hübsch anzusehen. «Diese Tiere werden oft unterschätzt und für etwas plump gehalten, dabei sind sie ganz schön flink und wendig», sagt René Gisler.

Doch wenn ein Auto oder Lastwagen auftaucht, hilft das leider oft nicht. Neben Wölfen und Luchsen sind wir Menschen die grössten Feinde der Dachse. Oder eher unsere Fahrzeuge, gejagt werden Dachse hierzulande nämlich kaum. Da Dachse mit ihren kurzen Beinen tiefgelegt sind und meist in der Nacht unterwegs sind, können sie leicht unter die Räder kommen. Gerade jetzt im Sommer heisst es also Augen auf bei der nächtlichen Heimfahrt.

 

Wozu die Streifen im Gesicht?
Die typisch hell-dunkel gestreifte Fellzeichnung am Kopf, die auch bei anderen nicht verwandten Arten wie dem Waschbär oder der Gämse vorkommt, hat wohl zwei verschiedene Funktionen. Ganz geklärt ist sie allerdings nicht. Zum einen dient sie wohl, wie etwa bei den gestreiften Frischlingen, zur Tarnung vor Feinden. Zum anderen soll die auffällige Färbung Feinde abschrecken.